FREITAG: Kann man sagen, dass die Partei der Europäischen Linken, sollte sie im Frühjahr gegründet werden, in etwa vergleichbar ist mit anderen Zusammenschlüssen wie der Europäischen Volkspartei EVP oder der Sozialdemokratischen Partei Europas SPE?
WOLFGANG GEHRCKE: Das gilt höchstens in einem gewissen Sinne. Unabhängig davon, dass die Politik einer Partei der Europäischen Linken eine ganz andere sein wird, haben wir auch ganz andere Vorstellungen, wie diese Partei arbeiten soll. Uns schwebt kein formaler Dachverband von linken Parteien vor, sondern wir wollen, dass diese Partei ein eigenes politisches Subjekt wird.
Heißt eigenständiges Subjekt auch eigenständige Fraktion im Europa-Parlament?
Eine linke Fraktion im Europaparlament sollte nicht auf die Mitgliedsparteien der Europäischen Linkspartei beschränkt bleiben. Die sollte eher Teil einer breiteren Fraktion sein. Darüber wird man aber erst nach den Europa-Wahlen vom 13. Juni richtig verhandeln können, wenn man weiß, wer dabei ist.
Elf Parteien haben jetzt am Wochenende in Berlin den Gründungsaufruf unterzeichnet, rechnen Sie damit, dass es noch mehr werden?
Die elf wollen die Partei auf jeden Fall vor den Europawahlen gründen, andere sind von der Notwendigkeit eines solchen Zusammenschlusses ebenfalls überzeugt, sagen aber, man brauche dafür mehr Zeit. Sie wollen zunächst als Beobachter dabei bleiben - dazu gehören die Portugiesische KP, die AKEL aus Zypern, die ja in der Regierung sitzt, oder die Sozialistische Partei Norwegens, die in ökologischen Fragen sehr profiliert ist. Ich gehe davon aus, dass noch weitere Parteien bereits zur Gründung dazu stoßen oder etwas später.
Es war die Rede davon, dass Fördermittel der EU in Höhe von etwa 8,2 Millionen Euro in Betracht kämen, sollte die Europäische Linkspartei vom EU-Parlament als Partei anerkannt werden. Welche Kriterien sind da maßgebend?
Leider stimmt die Summe so nicht. Das ist der Betrag, der für die europäischen Parteien insgesamt im EU-Haushalt vorgesehen ist. Wir suchen den Zusammenschluss nicht um des Geldes willen. Andererseits bin ich der Auffassung: Wir sollten das Geld nehmen, wenn man es uns gibt, weil das auch ein Akt der Gleichberechtigung gegenüber anderen ist.
Einige Parteien, die man zur traditionellen europäischen Linken rechnet - etwa die KP Griechenlands oder die Linkspartei Schwedens - sind entweder gar nicht oder nur partiell beteiligt. Welche Vorbehalte haben sie?
Die Parteien aus Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Island bilden einen eigenen skandinavischen Verbund, der Ende Januar endgültig gegründet werden soll. Ein Zeichen dafür, dass die Linke in Europa heute politisch und regional sehr differenziert ist. Die skandinavischen Parteien sind sehr viel EU-skeptischer als die westeuropäischen Linksparteien und versuchen eine eigene skandinavische Identität zu betonen. Die KP Griechenlands hat von Anfang an gesagt, dass sie an diesem Projekt kein großes Interesse hat. Wir haben ja in Griechenland außerdem die Linkskoalition SYNASPISMOS, die mit der KP konkurriert. Aus Italien beispielsweise ist die Partei der Italienischen Kommunisten als Beobachter präsent, während Rifondazione Comunista direkt zu den Protagonisten zählt. Unser Aufruf richtet sich an alle linken Organisationen, Parteien und Bewegungen in Europa. Das sei noch einmal klargestellt.
Es scheint ein gewisser Widerspruch zu sein, dass man einerseits davon spricht, die neue Partei solle eine aktionsfähige Gruppierung sein, sie aber andererseits immer wieder ausdrücklich als offenes Projekt bezeichnet - das geht doch erfahrungsgemäß zu Lasten von Aktionsfähigkeit.
Das könnte so sein, muss aber nicht. Ich glaube, das Problem hat der Vorsitzende der KP Österreichs, Walter Baier, sehr gut auf den Punkt gebracht. Er meinte, die kommunistische Bewegung habe über Jahrzehnte versucht, Einheit durch Druck zu erzeugen. Das ist endgültig gescheitert. Dann kam - nach 1989/90 - eine Phase der Beliebigkeit. Jeder tat, was er für richtig hielt, ohne Abstimmung untereinander. Jetzt, so Baier, suchen wir eine Einheit in der kulturellen Vielfalt.
Wobei Letzteres schon mit der Sprache beginnt ...
Da hat in der Tat vieles einen unterschiedlichen Klang, nur soll die neue Partei nicht ein Verein der Parteidiplomaten werden, die sich um einen Interessenabgleich sorgen.
Sondern?
Wir sind der Auffassung, die Linke in Europa hat kein Gesicht, und wir wollen dazu beitragen, dass mit der zu gründenden Partei die Europäische Linke wieder Gesicht und Stimme erhält. Wir wollen dazu sehr offene Arbeitsformen pflegen - transparent, demokratisch, nicht parteibürokratisch, auf Aktion gemünzt. Es gab dazu den sehr interessanten Vorschlag von Rifondazione Comunista, dass bei den anstehenden Europawahlen alle Mitgliedsparteien unter ihrem Parteilogo den Zusatz tragen: Mitglied der Partei der Europäischen Linken.
Man vermisst im Gründungsaufruf den Verweis auf ein sozialistisches Endziel.
Wer ist heute schon in der Lage, ein solches Ziel ...
Sicher, nur bei einer klaren Absage an das neoliberale Gesellschaftsmodell müssen doch auch Alternativen formuliert werden.
Das ist bei einem Gründungsappell nicht so einfach. Weil natürlich dann sofort ideologische Divergenzen der einzelnen Parteien, die ja nicht aufgehoben sind, hervortreten. Wir sind in dieser Hinsicht in unserem Grundsatzdokument "manifesto", das wir in Berlin einvernehmlich beraten haben, etwas weiter. Dort wird ausgeführt, welche Vorstellungen wir von einem alternativen Gesellschaftsmodell haben, das unter dem Begriff Sozialismus zu fassen ist.
Das Gespräch führte Lutz Herden
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