Keine anderen Götter neben mir

Die Gebote des Missionars Johannes Paul II. beschleunigte Polens Abschied vom Kommunismus

"Nichts wird jetzt mehr so sein wie vor Seinem Tod" - "Was soll aus uns Waisen nun werden?" - "Warum ist der Gott auf Erden von uns gegangen?". Die Zitate aus Warschauer Zeitungen charakterisieren die Gemütslage vieler Polen. Nicht nur geliebt, geradezu vergöttert wurde Johannes Paul II. in seinem Heimatland, in dem vielfach erwartet wird, dass man "unseren Heiligen Vater" unverzüglich auf die Altäre hebt und heilig spricht. Vorzugsweise daran wird Polen den Nachfolger messen.

Karol Wojtyla hat für sein Land in aller Welt mehr getan als irgendjemand vor ihm, hat Staatschef Aleksander Kwasniewski in einer Trauerrede beteuert. Es gehe mit dem Tod des Papstes "für die polnische Position, für die polnische Politik" viel verloren. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass jeder polnische Präsident, jeder Premier, jeder bedeutende Politiker von Johannes Paul II. in Privataudienz empfangen wurde, einige sogar mehrmals. Aus Gesprächen mit ihm schöpften sie - wie unermüdlich versichert wurde - neue Energien zum Handeln. Lech Walesa nannte diese Begegnungen ein "Aufladen der Batterien".

Man hörte den Papst bei seinen insgesamt neun Pilgerfahrten nach Polen vor Millionen Gläubigen reden, die ihm mit Hingabe applaudierten und Liebesbekenntnisse entgegen riefen, auch wenn zu bezweifeln war, ob der polnische Alltag genügend Anlass bot, den strengen Regeln dieses Papstes zu gehorchen. Ungewiss blieb auch, ob man ihn immer verstand. Zur Zeit der "Kommune", während der ersten drei Pilgerfahrten (1979, 1983 und 1987) war dies wohl der Fall. Sein Ruf auf dem Platz vor dem Grab des Unbekannten Soldaten im Zentrum Warschaus während des ersten Besuchs 1979, der "Heilige Geist möge das Antlitz der Erde erneuern, dieser Erde", wie er ausdrücklich hervorhob und Polen meinte, fand sein Echo knapp ein Jahr später: die Gewerkschaft Solidarnosc entstand und trug zum unaufhörlichen Zerbröckeln des sogenannten realen Sozialismus nicht nur in Polen bei.

Condoleezza Rice wusste, wovon sie sprach, als sie jüngst erklärte, Johannes Paul II. habe den Kommunismus ins Wanken gebracht. Dazu war er 1978 als Stellvertreter Christi auf Erden dank der Stimmen amerikanischer, italienischer und deutscher Konklavemitglieder berufen worden. Karol Wojtyla hat diese Mission bestens erfüllt. Nichts musste ihm dazu von "außen" eingegeben werden - diese Mission war dem konservativen polnischen Katholizismus immanent. Bis in die letzten Tage dieses Papstes hinein hat sich daran nichts geändert. In seinem Buch Tozsamosc i pamiec (Identität und Gedächtnis), dessen polnische Ausgabe Johannes Paul II. noch im Februar zeichnete, klagt er die Aufklärung als Ursache der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts an und bezeichnet das "cogito ergo sum" von René Descartes als den Ursprung alles späteren Übels. Die in diesem Buch enthaltene Exemplifizierung des Bösen kann sich wahrlich neben analogen Sentenzen im Schwarzbuch des Kommunismus sehen lassen.

Doch bei allem Konservatismus seines autoritären Pontifikats darf sein Mut nicht verschwiegen werden, mit lange geltenden Tabus in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche zu brechen. Das Bekenntnis, in vielerlei Hinsicht - etwa mit der Heiligen Inquisition - gesündigt zu haben, wie auch sein Ökumenisches Programm sind als bleibendes Verdienst zu werten. Drei von insgesamt 14 Enzykliken, vor allem "Centesimus Annus" (1991), gaben eine soziale Lehre dieses Papstes zu erkennen, die mit einer vehementen Kritik an der Unbarmherzigkeit des Neoliberalismus und der Herabstufung der Arbeit unter die allmächtige Herrschaft des Gewinns verbunden war. Diese eigenartige Art eines religiösen "utopischen Sozialismus" - im Sozialismus stecke auch "ein gesunder Kern der Wahrheit" sagte er in einer seiner vielen Predigten - blieb genauso unverstanden wie wirkungslos. Gleiches galt für das entschlossene Auftreten gegen den Krieg, besonders gegen den Irak-Feldzug der USA und ihrer Alliierten, zu denen bis heute Polen gehört. In seinen letzten Tagen ließ er noch in der bereits vom Vatikan genehmigten neuesten Katechismusfassung die These streichen, in manchen Fällen seien Kriege berechtigt.


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