Keine betriebliche Kündigung

Orakelsprüche von Fischer und Bütikofer Die Grünen sind etwas frecher geworden, aber auch ratlos geblieben

Es sah nach Kündigung aus, was die Regierungskoalition in der vergangenen Woche inszenierte. Zuerst kritisierte Joschka Fischer die eigene Sparpolitik. Dann kam der Grünen-Vorsitzende Bütikofer und erklärte das "Spiel" um das Zuwanderungsgesetz für beendet. Jede Äußerung für sich hätte für Aufregung gesorgt. Beide zusammen erschienen wie ein Strategiewechsel der Grünen, weg vom Koalitionspartner, wie eine innerbetriebliche Kündigung. Die Spekulationen schossen ins Kraut. Das Mindeste, was dieser Inszenierung nachgesagt wurde, waren Chaos und mangelnde Führung durch das Kanzleramt. Doch die Vermutungen gingen noch weiter. Ein Kurswechsel werde vollzogen, mutmaßten Kommentatoren, nicht nur in der Finanzpolitik. Die Grünen wollten sich auf Kosten der SPD profilieren, weil sich die ausgebrannten Koalitionäre schon auf die Wahl 2006 vorbereiteten.

Der äußere Anschein gibt Anlass zu derlei Spekulationen. Noch nie zuvor haben die Grünen eine so kategorische Haltung eingenommen wie in der Frage, ob man mit der CDU über die Zuwanderung noch weiter verhandeln sollte oder nicht. Das Thema galt auch bei den Grünen-Anhängern längst als erledigt. Das eigene Publikum erwartete, dass die Partei wieder das machen würde, was sie häufig genug geübt hatte: Kröten schlucken. Umso größer fiel die Überraschung aus, als Parteichef Bütikofer es krachen ließ. Die Zustimmung zu diesem Schritt war nahe an Begeisterung. Endlich einmal etwas Klares, nach so viel Kompromiss. Dass ausgerechnet Innenminister Otto Schily Grenzen gezogen wurden, tat der Freude keinen Abbruch. Andererseits richtete sich der Schritt nicht gegen die Koalition, sondern gegen die CDU. Die Koalitionskrise, die Schily sofort sah, war nicht notwendiger Teil der Inszenierung.

Auch Fischers Äußerungen zum Sparkurs haben ihre Geschichte. Zwar kamen sie so unerwartet, dass selbst in der Grünen-Bundestagsfraktion gerätselt wird, was den Vormann geritten hat. Ein paar Stufen tiefer, in den Landesverbänden, heißt es auch schon, der Meister mache nicht mehr alles richtig. Andererseits ist die Diskussion um den Sparkurs bei den Grünen nicht neu. Die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierungen ist in der Partei zwar nicht umstritten. Wie man aber Akzente setzen kann, in der Bildung, bei der Kinderbetreuung oder bei ökologischen Innovationen - darüber gehen die Meinungen auch in der Bundestagsfraktion auseinander. Fischers Äußerungen gehören in diesen Kontext. Sie sind nur eine Absage an den Reflex, auf die bevorstehenden Haushaltslöcher mit einem neuen, zusätzlichen Sparpaket zu reagieren. An den ohnehin geplanten Sparmaßnahmen wird ja nicht gerüttelt.

Wenn das die Absicht war, ging sie gründlich daneben. Während Bütikofer innerparteilichen Beifall erhielt, wird über Fischer der Kopf geschüttelt. Landespolitiker sind erbost. Am 1. Mai standen sie auf Gewerkschaftspodien und verteidigten den Sparkurs. Ein paar Tage später ließ ihr Vormann den Eindruck zu, es ginge auch anders. Das gefällt vielen nicht. Aber eine Absage an die Koalition, eine Vorbereitung auf ihr Ende, ist aus dieser Gemütslage nicht abzulesen. Eher die Light-Version eines Befreiungsschlages, Befreiung von selbstauferlegten Zwängen.

Der Frust darüber, dass alle bisher durchgesetzten Veränderungen nicht zu dem erhofften Wachstum, nicht zu weniger Arbeitslosen und höheren Steuereinnahmen geführt haben, wird zur Verzweiflung. Es geht darum, in dieser Situation Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen, versichern Fraktionsmitglieder. Und zwar für die gesamte Koalition, nicht nur für deren Einzelteile. Aber so wie in der vorigen Woche, und zuvor schon bei der Hanauer Plutoniumfabrik, wären Konflikte in den ersten Koalitionsjahren nicht abgelaufen. Das Selbstbewusstsein der Partei ist gestiegen, erklären basisnahe Landespolitiker. Beobachter wähnten am Wochenende, als der Länderrat der Grünen tagte, bereits die "Richtlinienpartei" innerhalb von Rot-Grün vor sich zu haben.

Die Spekulationen um den großen strategischen Schnitt erwiesen sich allerdings nach wenigen Tagen als heiße Luft und waren keine Schlagzeile mehr wert. Was bleibt, ist die Kritik an mangelnder Führung, an der Vorliebe für vorlaute Äußerungen, am fehlenden roten Raden aller Veränderungsbemühungen. Die angebliche innerbetriebliche Kündigung ist nicht dabei.


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