Keine Kohle für die Kohle

Energiepolitik Die erneuerbaren Energien verdrängen Kohle und Atom. Doch die Große Koalition will fossile Kraftwerke finanziell unterstützen. Wie konnte es dazu kommen?

Zuerst denkt man, die Großkoalitionäre in spe hätten sich verschrieben. Der Ausbaukorridor der erneuerbaren Energien soll in Zukunft „der Entwicklung der konventionellen Energiewirtschaft einen stabilen Rahmen“ geben. Sonne, Wind und Wasser als Absicherung für Kohle und Atom? Hatten wir nicht vor zwei Jahren noch den gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass wir atomarer und fossiler Energie den Rücken kehren – sie also schrittweise abwickeln – und stattdessen in eine regenerative Zukunft aufbrechen? Was ist passiert?

Durch die sinkenden Strompreise an der Börse rentieren sich einige fossile Kraftwerke nicht mehr. Die Politik sorgt sich wieder um die Versorgungssicherheit. Die Stadtwerke befürchten Millionenverluste bei den Steinkohlekraftwerken, an denen sie beteiligt sind. Und Umweltschützern wird bange um die hochflexiblen Gaskraftwerke, welche die Schwankungen der Erneuerbaren ausgleichen sollen. In dieser aufgeladenen Debatte produzierten verschiedenste Akteure ihnen genehme Konzepte. Von „strategischer Reserve“ und „fokussierten Kapazitätsmärkten“ war da die Rede. Diese Ansätze zielen darauf ab, Betreiber von Kraftwerken zu bezahlen. Aber nicht dafür, dass ihre Anlagen laufen; sondern alleine dafür, dass sie bei Bedarf zugeschaltet werden können.

Alte, energiepolitisch gewachsene Allianzen zerbrachen und neue taten sich auf. Anstatt über Energieträger oder Strukturen zu diskutieren, wurde auch von Erneuerbaren-Verbänden, aber auch von uns Grünen, Glaubenskriege über Fachdetails angezettelt. Dabei geriet aus dem Blick, dass fossile Konzerne und Volksparteien diese neue Ära der komplexen Energiepolitik missbrauchen, um einen fossilen Roll-Back einzuleiten.

Alle scheinen sich einig, dass Investitionen nötig sind, etwa in Speichertechnologien, hochflexible Gaskraftwerke und Lastmanagement, also die Steuerung der Stromnachfrage, zum Beispiel bei großen Kühlhäusern. Wie genau diese sogenannten Flexibilitäten aber ins System kommen (und bei Gaskraftwerken nicht herausfallen), darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Umwelt- und KlimaschützerInnen dürfen sich von der Komplexität der Debatte nicht ins Boxhorn jagen lassen. Denn genau das ist die Strategie ihrer GegnerInnen.

Im Koalitionsvertrag steht wohl deswegen viel zu diesem Punkt, weil sich das CDU-regierte Bundesumweltministerium und die NRW-dominierte SPD in wenigem wirklich einig waren. Nur wer weiß, was er will, kann konkret sein. Nur ein roter Faden zieht sich durch den Energieteil. Bei den auszubauenden „Flexibilitätsoptionen“, der weiterzuentwickelnden „Netzreserve“, der planwirtschaftlichen „Reservekraftwerksverordnung“ und bei den mittelfristig kommenden „Kapazitätsmechanismen“: Fossile Kraftwerke sollen am Netz gehalten werden. Selbst bei Unwirtschaftlichkeit und Klimawandel. Das führt die gesamte Logik der Energiewende ad absurdum. Denn jetzt, wo Erneuerbare am Markt den Fossilen endlich den Rang ablaufen, sollen diese Klimakiller finanzielle Hilfen bekommen.

Gleichzeitig wird macht die Große Koalition klipp und klar, dass die Zeiten des grenzenlosen Zubaus erneuerbarer Energien zu Ende gehen. Es scheint, als habe sich dem schwarzen Alptraum einer de-facto-Ausbaubremse für Erneuerbare nun der rote Alptraum in Form von Hannelore (Kohle-)Kraft beigesellt. Ein Erwachen ist nicht in Sicht.

Dennoch dürfen wir uns der Debatte nicht verweigern. Wir brauchen Flexibilität im System, die wir nur über zusätzliche Mechanismen bekommen. Jedoch war es falsch, sich an das eine oder andere Modell zu klammern, in der Hoffnung, damit die Energiewende zu unterstützen. Jetzt kommt es darauf an, klare Kriterien für jede Form von neuem Strommarktmodell zu formulieren. Diese müssen sich orientieren an den realen Notwendigkeiten (Flexibilität und Verfügbarkeit von Leistung), gesellschaftlichen Zielen (Effizienz und Emissionen) sowie einer möglichen Beschränkung der Auswirkungen (Regionalität und Reversibilität). Das Motto ist klar: Bitte keine Kohle für die Kohle!

Georg P. Kössler ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie von B90/Grüne

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