Schröders Agenda ist der falsche Weg Wenn Deutschland und Europa der amerikanischen Hegemonie wirksam widerstehen wollen, müssen sie sich zum sozialen Gesellschaftsmodell bekennen
Nach verbreiteter Meinung ist Schröder ein Pragmatiker, ein Mensch also, der sich für prinzipielle Zusammenhänge prinzipiell nicht interessiert. Also macht es ihm nichts aus, wenn es opportun ist, ruhig einmal A zu sagen, denn daraus folgt ein B noch lange nicht. Die These etwa, dass derjenige, der den USA in der Außen- und Sicherheitspolitik die Gefolgschaft verweigert, genau das auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik tun muss, dürfte ihn kaum interessieren. Vielleicht kommt mit seiner Agenda 2010 auch nur zum Vorschein, dass er schon A nur gezwungenermaßen und halbherzig gesagt hat, weshalb ein B von ihm überhaupt nicht zu erwarten war. Dann ist er allerdings kein Pragmatiker, sondern ein Überzeugungstäter, der nur aus taktischen Grün
2;nden einmal kurz von seiner Überzeugung abgewichen ist. Der Zusammenhang zwischen Außenpolitik und Sozialpolitik, den er im Auge hat, ist dann ein ganz anderer: Völkerrecht und soziale Rechte sind schön und gut, aber die USA haben nun einmal die Macht. Und der muss man sich am Ende beugen. Basta.Blicken wir noch einmal auf den Irakkrieg zurück, so war er in zweierlei Hinsicht indirekt gegen Europa gerichtet. Erstens sollte mit der Kontrolle über das Öl der Golfregion die energiepolitische Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von den USA verstärkt werden, denn Europa deckt einen weit höheren Anteil seines Ölbedarfs aus dieser Region (38 Prozent) als die USA (25 Prozent). Zweitens sollte die durch den Euro gefährdete Hegemonie des Dollar gesichert werden. Zwar werden nach wie vor fast alle Ölgeschäfte in Dollar abgewickelt, es deutet sich jedoch ein Vordringen des Euro auch in diesen zentralen Markt an. Insofern ist es verständlich, dass die "alten Europäer" bei diesem Krieg nicht mitgemacht haben, denn das hätte im Grunde bedeutet, Krieg gegen sich selbst zu führen.Was jedoch in diesem Zusammenhang oft übersehen wird: Hintergrund dieses Krieges ist eine Niederlage. Ich meine den tiefen Vertrauensverlust, den der Dollar, der amerikanische Finanzmarkt und damit der "angelsächsische Kapitalismus" durch die Krise in den USA erlitten haben. Wieso? Weil der Boom, der ihr vorausging, auf einem gewaltigen Vertrauensvorschuss beruhte, den die Geldanleger aus aller Welt der amerikanischen Wirtschaft gewährt hatten. Das Kapital war nach der Asienkrise dorthin geströmt, denn diese Wirtschaft schien das Zeug zu haben, auf der Grundlage der Informations- und Kommunikationstechnologie zu einer krisenfrei expandierenden New Economy zu werden. Damit hätte nicht nur der Finanzmarkt, sondern auch die politisch-militärische Vorherrschaft der Vereinigten Staaten endlich ein festes realwirtschaftliches Fundament erhalten. Man hätte sein Geld so profitabel und so sicher wie noch nie anlegen können.Nun ist der Traum längst verflogen, und die Anleger haben eine Menge Geld verloren. Aber nicht nur der Traum ist weg, was ja eine verständliche und normale Ernüchterung erklären würde, auch das Vertrauen in die Potenziale dieses Wirtschaftsmodells. Dennoch soll ausgerechnet jetzt mit der Agenda 2010 ein weiterer Versuch unternommen werden, Merkmale des "angelsächsischen Kapitalismus" auf den institutionell ganz anderen "Rheinischen Kapitalismus" zu übertragen. Nichts spricht dagegen, dass unterschiedliche Gesellschaftsmodelle voneinander lernen. Aber seit über 20 Jahren wird nur dem Rheinischen Modell Anpassung empfohlen, und zwar unter Schmerzen. Warum eigentlich? Die USA haben in den achtziger Jahren bekanntlich gegenüber der Bundesrepublik und Japan an internationaler Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und sind in den Neunzigern - man denke an die Handelsbilanz und die Auslandsverschuldung - jedenfalls nicht erfolgreicher gewesen als die EU. Wenn die USA als ökonomisches Vorbild gelten, so kann es sich nur um einen Erfolg ihrer Propaganda oder um einen Ausdruck politischer Unterwürfigkeit der anderen handeln. Auch wenn der Vergleich sonst hinkt, in diesem Punkt stimmt er: "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen".Dass Schröder nun 1999, als er mit Blair zusammen der europäischen Sozialdemokratie den Weg weisen wollte, an das angelsächsische Modell glaubte, war noch verzeihlich, denn damals glaubte ja alle Welt an das Wunder der New Economy. Ganz unverzeihlich ist dieser Glaube jedoch heute, da die Blase geplatzt ist und das angelsächsische Modell in einer tiefen Krise steckt. Sollte Europa sich angesichts dessen nicht endlich zu seinem Modell einer Sozialen Marktökonomie offensiv bekennen? Dann müsste das Jammern über die hohen "Lohnnebenkosten", in das die Agenda einstimmt, allerdings aufhören. Denn dass sie hier im Unterschied zu den USA relativ hoch sind, versteht sich von selbst, weil diese Wirtschaftsweise auf Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auf hoher Qualifikation der Arbeitskräfte und den langfristigen Erfolg des Unternehmens setzt.Offensichtlich ist auch, dass die Agenda zur Stärkung der Binnennachfrage nichts beiträgt, sondern sie gerade schwächt. Ihr einziger ökonomischer Sinn kann daher sein, den Exportunternehmen zu helfen, sich durch verbesserte preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu behaupten. Dafür spräche, dass der Export in der Tat schwieriger werden könnte, wenn die ausländische Nachfrage sinkt und der Kurs des Euro weiter steigt. Dagegen spricht jedoch, dass der deutsche Export im vergangenen Jahr erneut ein Rekordergebnis erzielt hat, die Hilfe also nicht besonders dringlich ist. Außerdem sind die Exportunternehmen vorwiegend große Unternehmen, die eher Arbeitsplätze abbauen als neue schaffen. Insofern wird die Agenda auch nicht zu mehr Beschäftigung führen.Dringlich wäre die Hilfe jedoch für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die für den Binnenmarkt produzieren und hauptsächlich für Beschäftigung sorgen. Man erinnere sich, dass in der exportorientierten Bundesrepublik der Anteil des Außenhandels an der Gesamtwirtschaft doch nur rund ein Viertel beträgt. An drei Viertel der Wirtschaft hat die Agenda also nicht gedacht. Aber das ist ein altes Problem der Bundesrepublik: Sie ist offenbar in ihrer Exportorientierung gefangen, auch wenn sie sich damit von den Launen des Weltmarkts noch abhängiger macht.Warum hoffen wir eigentlich darauf, dass der "Motor der Weltwirtschaft" wieder anspringt - das heißt, die Nachfrage in den USA wieder wächst - statt bei uns für mehr Nachfrage zu sorgen? Warum halten die Europäer eisern an den Maastrichtkriterien und am Stabilitätspakt fest, während die Vereinigten Staaten sich schon Ende der achtziger Jahre vom Primat der Geldwertstabilität wieder verabschiedet haben und zu einer expansiven Geldpolitik übergegangen sind, um Wachstum und Beschäftigung anzuregen? Die Antwort ist im Grund einfach: Die USA können sich aufgrund der Dollarhegemonie und ihrer beherrschenden Stellung auf dem Weltfinanzmarkt (bisher) eine solche Politik leisten. Statt zu sparen drucken sie Dollars, und die Europäer liefern, wie Helmut Schmidt schon 1987 sarkastisch meinte, "Waren gegen bedrucktes Papier".Man könnte vermuten, dass die Europäische Union ihre Sparpolitik betreibt, um den Euro noch stärker zu machen und so die Dollarhegemonie prinzipiell in Frage zu stellen. So anspruchsvoll ist sie aber bisher nicht, und dazu fehlt ihr auch das politische Rüstzeug. Die EU muss, wenn sie dem Diktat des Weltfinanzmarktes und damit der amerikanischen Hegemonie wirksam widerstehen wollte, viel mehr als bisher die politische Union vorantreiben und sich zu ihrem eigenen Gesellschaftsmodell bekennen. Nicht nur für den Bundeskanzler, auch für das "alte Europa" gilt daher: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer in der Sicherheitspolitik und in der Geldpolitik die amerikanische Hegemonie (immerhin ansatzweise) herausfordert, der muss das endlich auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik tun.
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