Keine Kreuzfahrt, sondern ein Kreuzzug

ITALIEN Für Silvio Berlusconi ist die Medienschlacht vor den anstehenden Regionalwahlen ein Probelauf für die Entscheidung um die Regierung ab 2001

Am 16. April wird in 15 der 20 italienischen Regionen gewählt. Zur Abstimmung stehen per Direktwahl der Präsident sowie die Regionalvertreter - ein Test für die 2001 anstehenden Parlamentswahlen und die Kohärenz des rechten und des linken Bündnisses. Besonders die in Rom regierende Mitte-Links-Koalition wird sich an ihrem Erfolg oder Misserfolg zu messen haben. Dabei zieht in einer ideologisch überfrachteten Kampagne Oppositionsführer Silvio Berlusconi - gerade beginnt gegen ihn ein Prozess wegen Urkundenfälschung - alle Register seiner schier unerschöpflichen Kommunikationspotenziale.

Wahlkampf in Italien ist wie Zirkus mit Laienartisten. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Politiker ungelenke Sprünge oder Pirouetten vollführt, um in der Wählergunst nach oben zu klettern. Dabei geht es kaum darum, wer künftig die Regionen führen soll - mehr als 50 Prozent der Italiener erklären, dass sie "nichts oder fast nichts über die Aktivitäten ihrer Region wissen" -, nein, 43 Millionen Italiener sollen eine Glaubenswahl treffen: entweder für die Regierung stimmen und die Rechte links liegen lassen oder Mitte-Links eine Abfuhr erteilen und die Rechte belohnen. Zur Überzeugung wird moderne Propaganda eingesetzt.

Meister des totalen Politmarketings bleibt unangefochten Silvio Berlusconi, Herr über drei terrestrisch verbreitete Fernsehprogramme. In seinen Spots setzt er auf Vertrautes, besonders die Atmosphäre seines "Arbeitszimmers" in Arcore bei Mailand. Er sitzt hinter einem aufgeräumten Schreibtisch, die Mundwinkel zu einem unwirklichen Plastiklächeln verzogen, hinter sich eine Kollektion Familienfotos. Die aggressive Botschaft bleibt im Kern immer die gleiche: von der jetzigen Wahl hänge es ab, ob sich Italien von einer "erdrückenden, illiberalen Zukunft" befreie.

Auf Werbebotschaften in sämtlichen Programmen schwört auch die Radikale Partei. Der weltbekannte Benetton-Fotograf Oliviero Toscani, der erst jüngst mit seiner Anti-Todesstrafenkampagne für Aufsehen sorgte, zeichnet jetzt für einen Fernsehspot verantwortlich, der die Einzelkämpferin Emma Bonino als farbenfrohes Politikwunder (United Colours of Benetton) zeigt, neben der die Gegner, konsequent in schwarz-weiß abgelichtet, fahl und aschgrau ausschauen: Bonino als jugendliche Streiterin für das Recht auf Abtreibung und Scheidung; Bonino als entschlossene EU-Kommissarin mit unterernährten Kindern auf dem Arm; Bonino als ausgemusterte EU-Kommissarin, die strahlend ihren Sieg bei den Europawahlen 1999 nach Hause trägt. Der Spot schließt mit der Aufforderung "Genug mit dem Geschwätz. Stimmt am 16. April für Emma Bonino!" Was das alles mit der Kandidatur Boninos in der Region Piemont (Hauptort Turin) zu tun hat, dürfte ein Rätsel bleiben. Bei Emma geht es offenbar um höhere Ziele.

Noch einfallsloser setzt sich der Premierminister in Szene: Massimo D'Alema spaziert wohlgemut durch einen Schwarz-Weiß-Streifen und lächelt unschuldig Wählerinnen an. "Gemeinsam sind wir unseren Verpflichtungen nachgekommen, auch den schwierigsten", suggeriert eine Off-Stimme und wirbt hilflos für vermeintliche Erfolge von Mitte-Links in Rom. Einigermaßen altbacken kommt D'Alema daher und erinnert eher an die Jahre als ans Jahr 2000. Welche Tragweite die Wahlen haben, wird dabei nicht vermittelt; die Linke liebt es wohl, sich selbst zu überschätzen.

Um den Platz im Fernsehen führen die Parteien regelrechte Schlammschlachten, obwohl jüngst ein Gesetz verabschiedet wurde - die par condicio -, mit dem die Wahlwerbungen in den Medien geregelt und allen Parteien gleiche Bedingungen garantiert werden sollten. Nach den Wildwest-Zuständen - Berlusconi schaltete nach Gutdünken Spots in den eigenen Fernsehsendern und bombardierte die Zuschauer bereits seit Februar - kehrte ein bisschen Ordnung in die Kampagne ein. Kurze Spots sind nun per Gesetz verboten, alle Parteien erhalten Sendezeiten von zwei bis drei Minuten in von der staatlichen RAI unentgeltlich zur Verfügung gestellten Werbeblöcken. Doch um mehr Werbezeit beanspruchen zu können, hat das Oppositionsbündnis Pol der Freiheiten sogleich eine perfide Strategie ersonnen: mit einer regionalen Aufspaltung in "Nordpol", "Südpol" und "Pol des Zentrums" sollte die gesetzlich erlaubte Werbezeit verdreifacht werden.

Massimo D'Alema hat versucht, seinen politischen Hauptgegner zum Fernsehduell zu fordern, doch ließ sich Berlusconi nicht überreden, sprach dem Premier die Autorität ab, für die ganze Mitte-Links-Koalition zu sprechen, und begab sich lieber auf eine Kreuzfahrt - nicht um zu entspannen, sondern um zu beeindrucken.

Der Medienmogul charterte einfach einen 200 Meter langen Luxusliner, taufte ihn auf den Namen Azzura: la nave della libertà (Himmelblau: das Schiff der Freiheit) und stach Anfang April von Genua aus in See; einmal rund um den italienischen Stiefel geht die Wahlkampftour, bis nach Venedig (Ankunft am 8. April). Tagtäglich kostet diese extravagante Marketingstrategie umgerechnet mehr als 72.000 Mark, berichtet die Tageszeitung La Repubblica - Mehrwertsteuer, Verpflegung und Extras nicht mitgerechnet. Neben rund 100 akkreditierten Journalisten ist auch Berlusconis Mutter Rosa (90) mit von der Partie. "Er arbeitet, seitdem er denken kann", lobt sie ihren Sohn und wischt jede polemische Anspielung auf seinen ungeheuren Reichtum vom Tisch. "Freunde! Das ist keine Kreuzfahrt, sondern ein Kreuzzug", ließ Berlusconi seine Anhänger beim Auslaufen aus Genua wissen. Flugzeuge kreisten über dem Hafen und machten Werbung für Berlusconis Partei: "Forza Italia = Freiheit". Fortan verhieß jede Etappe - ob sie Livorno, Neapel, Catania, Reggio Calabria, Bari, Pescara, Ancona oder Rimini hieß - eine Kirmes und jede Kirmes eine Wahlkundgebung, entweder im Bauch des Kreuzfahrtschiffes, dessen Parkplatz eigens zu einem Konferenzsaal mit 2.500 Plätzen umfunktioniert war, oder an Land.

Nach getaner Arbeit gönnt sich König Berlusconi stets einen Abendspaziergang auf der Strandpromenade und speist in einem typischen Restaurant der Stadt. Beim Auslaufen zur nächsten Station dürfen die Wähler zum Abschied Spalier bilden und ein Feuerwerksspektakel bewundern. Berlusconis Kotau vor einer immer von Neuem zu entfachenden Sehnsucht nach Brot und Spielen - der Regionalwahlkampf in Italien offenbart viel Sinn für Staffage.

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