Keine Lust auf einen Pariser Mai alter Schule

Frankreich Viel Wut entlädt sich beim IV. Nationalen Aktionstag gegen die Krise in Frankreich, doch der vielfach herbei geredete Aufguss der Revolte vom Mai '68 ist nicht in Sicht

Hierzulande macht sich schon halbwegs verdächtig, wer nur das Wort „soziale Unruhe“ in den Mund nimmt. Der ehemalige französische Premier Dominique de Villepin dagegen äußert sich freimütig zur Stimmung in Frankreich, ohne gleich einen kollektiven Ordnungsruf einzufangen: „Ja, es gibt einen großen Zorn. Ja, es gibt eine revolutionäre Gefahr in Frankreich.“ Dort streiken Universitätsprofessoren und Studenten schon seit 16 Wochen gegen eine Studien-"Reform“. Und heute protestierten erneut alle acht französischen Gewerkschaftsverbände zum vierten Mal gemeinsam gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung von Nicolas Sarkozy. Wie schnell sich die Dynamik des Aufruhrs in Frankreich entfalten kann, erlebte de Villepin als Premierminister vor drei Jahren. Seine Regierung wollte seinerzeit die Vertragsbedingungen für Berufsanfänger verändern, sprich: verschlechtern. Eine Welle von Protesten überzog das Land und begrub das Gesetzesvorhaben fast über Nacht.


In vielen Zeitungen werden augenblicklich Überlegungen lanciert, ob es wohl zu einem „neuen Mai '68“ kommen werde. Der Nouvel Observateur zum Beispiel spricht „vom „französischen Aufstand“: „Die Leidenschaft für die Gleichheit hat im Lauf der Geschichte viele Revolten angestoßen und konnte nur wieder aufleben mit der Wirtschaftskrise und ihren trostlosen Begleiterscheinungen in Form von Sozialplänen. Mit Boni ausgestattete Manager, machtlose Politiker und eine Intelligenz, die sich zum Komplizen des Ultraliberalismus gemacht hat, sind von der gleichen Schande überzogen. Bis wohin wird der Zorn gehen?“

Starke Worte, die sich Olivier Besancenot von der Neuen Antikapitalistischen Partei (Nouveau parti anticapitaliste) wörtlich zu Eigen machte: „Ein neuer Mai 68, das würde nicht schaden!“ Allerdings werden die Proteste der Professoren und Studenten, der Krankenschwestern und Ärzte sowie der acht Gewerkschaftsverbände auf den Straßen nicht koordiniert. Die Aktionen entfalten sich weitgehend punktuell und lokal. Forderungen nach einem „Generalstreik“, wie ihn radikalisierte Studentengruppen fordern, erteilen die Gewerkschaften bisher eine glatte Absage.

Rotes Tuch

Von einer allgemeinen Aufbruchstimmung wie im Mai '68 ist noch nichts zu spüren. Vorherrschend sind vielmehr Ratlosigkeit, Ohnmacht und eine diffuse Wut gegen Ungerechtigkeiten. Der Dachverband der Unternehmer bewertet die Lage dennoch als kritisch und will offensichtlich beruhigen. Für den 27. Mai lud er die acht Gewerkschaftsverbände zu Gesprächen ein. Auch die Regierung hält sich bisher zurück und verspricht, das Gesetz zur Sonntagsarbeit – ein rotes Tuch für die Gewerkschaften – etwas zu modifizieren. Offensichtlich hofft auch die Regierung darauf, dass sich die Protestbewegung in den Sommermonaten verläuft.

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