Keine Milde

Hermann Kant Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers urteilten die medialen Gratulanten mehr über den mutmaßlichen Funktionär des DDR-Kulturbetriebs als den Literaten
Ausgabe 25/2016
Schriftsteller Hermann Kant
Schriftsteller Hermann Kant

Foto: Pemax/Imago

Leben ist gelebt, es gibt keinen zweiten Anlauf. Man kann sich wünschen, einige Entscheidungen anders getroffen zu haben, helfen wird es wenig. Wie heißt es so schön? Man handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Nur wenn einem nachgesagt werden kann, genau das geschah nicht, ist das Handeln zu kritisieren. Die Kunst, zu leben und niemandem weh zutun, gelingt den wenigsten, was den meisten verziehen wird. Wer allerdings in der DDR lebte und an einigermaßen exponierter Stelle agierte, dem verzeiht man nicht. In solchen Fällen wird gern das Wort vom „Gesinnungstäter“ verwendet.

Zum 90. Geburtstag des Schriftstellers Hermann Kant wurde es gerade ausgiebig gebraucht. Was aber ist an einem, der seiner „Gesinnung“ folgt, also tut, was Wissen und Gewissen ihm raten, schlimmer als an einem, der Befehle befolgt? Kant zählt zu einer Generation, die – kaum den Kinderschuhen entwachsen – in einen Vernichtungskrieg gezogen wurde, der Überleben und Schuld so eng verband, dass nur ein schmaler Pfad in die Zukunft blieb. Kants wichtigster Roman Der Aufenthalt (1977) schildert, was es heißt, individuelle Schuld abzutragen,

„Kämst du noch einmal auf die Welt, schriebst du nur Bücher“, seufzt Kant in seiner Autobiografie Abspann (1991). Der Chronist von DDR-Geschichte und ihren Utopien (Die Aula, 1965) kann das Leben so wenig wie andere in das des Literaten und das des Funktionärs teilen. Das Wörtchen „aber“, das der Lehrer Riebenlamm der ABF-Schülerin Rose Paal in der Aula so positiv anrechnet, gilt bei Kant nicht als entlastend. Er muss damit leben, dass ihm jene, denen in der DDR Unrecht geschah, nicht verzeihen, und jene, die sich daran laben, alle Vorurteile nachplappern.

Dabei ist Hermann Kant von seinen Lesern in der DDR immer auch als Kritiker, als einer, der ausspricht, was selten laut gesagt wurde, verstanden worden. Seine Bücher strotzen vor hintergründigem Humor und zweideutigen Begebenheiten, sie stellen freilich – und das wird ihm nicht verziehen – eine sozialistische DDR nicht in Frage. Kurios und kritikwürdig war die ostdeutsche Lebenswirklichkeit bei Kant. Aber so soll es in der DDR ja nicht gewesen sein.

Der Umgang mit dem Präsidenten des DDR-Schriftstellerverbands, der Kant über viele Jahre auch war, ist ambivalent. Die einen bewerten sein Streiten für den Berufsverband, der Altersversorgung regelte und Auflagen erstritt, positiv, die anderen finden es abstoßend, wie nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann mit einem Teil von ihnen umgesprungen wurde. Kant wollte zwischen Geist und Macht vermitteln, konnte dem Druck aber nicht ausweichen. Die Frage, ob es andere besser gekonnt hätten, stellt sich nicht. Es hat keiner versucht. Der Sitz im ZK sicherte Kant vielleicht einen anderen Gesprächszugang zur eigentlichen Macht. Machtbefugnis sicherte er nicht.

Er hat nach 1990 in vielen Werken immer wieder versucht, die Ursachen für die Abwege zu suchen, auf die der sozialistische Traum geraten war. In acht Büchern, die seither bei Aufbau erschienen, schwingen die Fragen um das Verhältnis von Verstrickung und Gestaltungswillen in einem Staat mit, der alles kontrollieren möchte. Hermann Kants Altstalinist Mark Niebuhr (Okarina, 2002) durchforstet sein Leben auf der Suche nach sich selbst. Zu Erkenntnis und Nachdenken reicht das allemal. Mir ist das lieber als das vorschnelle „Asche aufs Haupt streuen“, das die Wendehälse aller Couleur so vehement anraten.

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