Keine neue Ostpolitik

Kommentar Wladimir Putin trifft Kim Jong Il

Die Begeisterung führender russischer Korea-Beobachter im Vorfeld der am vergangenen Wochenende stattgefundenen Begegnung zwischen dem russischen Präsidenten und Nordkoreas Staatschef war grenzenlos: Die Entscheidung Wladimir Putins - so Alexander Woronzow vom Moskauer Orient-Institut - zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren mit Kim Jong Il zusammentreffen zu wollen, könne als Beweis dafür gelten, dass Moskau keineswegs gewillt sei, sich mit der gegenwärtig zu beobachtenden geopolitischen Selbstermächtigung Washingtons vollends abzufinden. Putin habe begriffen, dass die Beziehungen Russlands zum benachbarten Nordkorea einfach zu wichtig seien, um auf dem Altar eines russisch-amerikanischen Feldzuges gegen den internationalen Terrorismus geopfert zu werden.
Die weiteren Ereignisse schienen Woronzows frohe Botschaft zunächst zu bestätigen: Nur Stunden nach der Entscheidung Washingtons, gegen Pjöngjang Sanktionen wegen der Lieferung von Raketenteilen an den Jemen zu verhängen, gingen im fernöstlichen Wladiwostok Putin und Kim Jong Il in Klausur. Die allseits erwartete außenpolitische Sensation blieb jedoch aus: Weder gab es eine gemeinsame Pressekonferenz, noch eine gemeinsame Erklärung. Über die Beziehungen zwischen beiden Koreas habe man geredet, und über eine mögliche Bahnverbindung zwischen Europa und Asien. Wollte oder konnte Putin nicht mehr über seine Abmachungen mit Kim sagen?
Tatsache ist, dass der Kreml politische Stabilität auf der koreanischen Halbinsel unter allen Umständen will. Sie ist die entscheidende Bedingung für diverse Infrastruktur- und Energieprojekte, wie sie in Moskau und anderswo seit langem erwogen werden. Tatsache ist aber auch, dass der Kreml bislang über keinerlei konsistente ostpolitische Strategie verfügt, die es ihm erlauben würde, wirkungsvoll zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse zwischen Pusan und Chongjin beizutragen. Kernstück einer derartigen Strategie müsste nicht zuletzt eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Japan- und China-Politik, also eine Ost-Politik Moskaus sein. Die vor wenigen Wochen stattgefundenen russisch-japanischen Konsultationen sowie der gerade zu Ende gegangene China-Besuch des russischen Premiers Michail Kasjanow haben deutlich gemacht, wie weit Putin Co. davon noch entfernt sind.
Offenbar hat die Kreml-Führung deshalb so große Probleme, eine tragfähige ostpolitische Strategie zu formulieren, weil sie sich innerlich weigert, Russland als eurasische Macht zu begreifen. Wer lediglich "Vorhut des Westens in Asien" sein will, kann objektiv kein souveräner Akteur in einer Region sein, die mehr als jede andere für die eigene Zukunft von entscheidender Bedeutung ist.

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