Keine Post von Olli Kahn

Sportplatz Seit einiger Zeit entdecke ich eine gewisse Verdrossenheit meiner Kinder gegenüber dem Ballspiel Nummer eins der Republik. Schrien sie nach der WM ...

Seit einiger Zeit entdecke ich eine gewisse Verdrossenheit meiner Kinder gegenüber dem Ballspiel Nummer eins der Republik. Schrien sie nach der WM während des nachmittäglichen Gekickes noch: "Ballack dribbelt", "Klose schießt" - "Kahn hält", wurden ihre Spiele in letzter Zeit in dieser Hinsicht doch merklich ruhiger, und das liegt nicht nur daran, dass die WM schon lange vorbei ist.

Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Unsere Kinder, angesteckt von jenem Fußballfieber, das das ganze Land im Sommer erfasst hatte, schickten einen Brief an einen deutschen Spieler, der während dieses Sportgroßereignisses den Status eines Volkshelden erreichte, mit der Bitte um ein Autogramm. Einen ganzen Nachmittag schrieben die Kinder daran und gaben sich wirklich große Mühe. Selbstverständlich fielen auch Worte wie "der Allergrößte" und "Held". Als Elternteil hat man an solchen Hymnen mittlerweile auch nicht mehr zu knapsen, als gut informierter Erzieher weiß man ja, dass die Zeit im Leben kommt, da man selbst den Heldenstatus gegenüber den Kindern verliert und von Schauspielern, Popsängern und auch Sportlern abgelöst wird - ein ganz normaler Vorgang in der Entwicklung eines jungen Menschen. Man stelle sich bloß ein Kinderzimmer mit Postern von Eltern oder gar Lehrern vor, das wäre wirklich so was von uncool.

Ganz anders der Held meiner Kinder. Während der Weltmeisterschaft wuchs er von Spiel zu Spiel über sich hinaus und erreichte diesen Status bald nicht nur für die Jüngeren. Er wurde zum König, König der Republik, King Kahn, denn er hielt, was zu halten war. Er hielt das Team zusammen, als Kapitän muss er das ja auch, und zusätzlich Unhaltbares, was auf seinen Kasten zugeflogen kam. Bis zum Finale eben. Aber da hatte er Deutschland schon zum Vize-Weltmeister gemacht. Vermutlich brauchte er dazu all seine Energie, denn bei uns zu Hause strichen die Wochen ins Land und dann die Monate, ohne dass wir etwas hörten. Ich hatte wohl einen ganzen Katalog an Erklärungen durch, was Profifußballer so alles am Tag machen müssen und warum der gute Mann nicht antworten konnte. Der Bundespräsident fiel mir dann in den Rücken, indem er der Mannschaft für besondere Verdienste das Silberne Lorbeerblatt verlieh, aber in unserem Briefkasten herrschte immer noch Poststille. Es kam keine Antwort.

Die Kinder guckten weiterhin Fußball, doch schreibfaule Helden werden deutlich kritischer beäugt. Schleichend kam es somit zur Heldendemontage: Die wöchentliche Bundesligaberichterstattung wurde merklich nüchterner verfolgt. Natürlich sahen sie den Ausraster gegen Brdaric, die Beschimpfung eines Linienrichters und ähnliche keinesfalls nachahmenswerte Verhaltensweisen. Erklärungen meinerseits waren nun nicht mehr nötig, Taten sprechen für sich selbst und formen Meinungen. Distanzierung folgte, aber wer füllt nun dieses Begeisterungsvakuum? Kinder brauchen Helden, und wie man an der Fußballweltmeisterschaft sieht, Erwachsene wohl auch. Wir, die mit den Wimbledon-Siegen von Boris Becker aufgewachsen sind, haben auch hier Schwierigkeiten, dem Erklärungsbedarf der jüngeren Generation nachzukommen. "Warum ist der etwas Besonderes, wenn er doch jetzt ins Gefängnis muss?", sollte ich neulich erklären. Er musste ja doch nicht ins Gefängnis, aber die Neugier der Kinder bleibt.

Ein anderer großer Sportler dieses Landes hat sich bereits frühzeitig durch zweifelhafte Überholmanöver und Renn-Manipulationsvorwürfe als Held disqualifiziert. Wo sind sie nur alle hin, die Vorbilder? Mit dem Vorrundenaus des FC Bayern in der Champion´s League und der folgenden Medienschlacht gibt es im Moment nicht gerade viel Heldenersatz. Die Unfähigkeit der Sportler, mit dem öffentlichen Erfolgsdruck umzugehen, gibt Anlass zum Nachdenken über eine nötige Trainingseinheit in der Woche der Profis, die vielleicht "Umgang mit den Medien" heißen könnte. Schaden kann das gewiss nicht, doch würde dann wahrscheinlich, ohne Fehltritte der Akteure, die Fußballberichterstattung an sieben Tagen in der Woche erst recht langweilig. Auf der Suche nach einer neuen Sportart für meine Kinder bin ich noch nicht fündig geworden. Nun ist der neue Harry Potter Film angelaufen, und für einen Moment erwog ich "Quidditch" als Ersatzsport, warum nicht mal etwas Fiktives? "Es kann von uns ja keiner fliegen," entkräftet mein Ältester sofort. Manchmal sehen Kinder die Dinge erschreckend realistisch.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden