Keine PR

Linksbündig Wege und Hürden der Film­kritik in der Zeitungskrise

Die vielbeschworene Krise der Zeitung schlägt neue Kapriolen. Zeitungen, die im Wettlauf um Nachrichten gegenüber dem Rundfunk und erst recht gegenüber dem Internet den Kürzeren ziehen, erliegen häufiger der Versuchung, selbst News zu produzieren. Auch um den Preis, dass Reflexion und abgewogenes Urteil auf der Strecke bleiben.

Das kann man tun wie Josef Schnelle. Der Kölner Filmkritiker hat in der Berliner Zeitung die Blogger pauschal bezichtigt, das "informierte und unabhängige Urteil" zu "zersetzen", für das allein die "professionelle" Filmkritik, also die der gedruckten Zeitungen garantiere. Wer so ins Netz hineinruft, muss auf Reaktionen nicht warten, die zumeist aber differenzierter herausschallen.

Die Krise der gedruckten Zeitung belegen aber auch zwei andere Beispiele. Auf der einen Seite ein deutscher Verleih, der nach schlechten Erfahrungen bei Das Parfum (ein Verriss in der Zeit erschien drei Wochen vor dem Start) bei seinem jüngsten Projekt, dem Baader-Meinhof-Komplex, rabiat seinen Anspruch auf Exklusivität und Geheimhaltung durchsetzen will. Auf der anderen Seite eine Kritik, die sich mit einer nicht autorisierten Fassung von Quentin Tarantinos Drehbuch zu seinem nächsten Film (Inglorious Bastards) befasst. Diesmal im Mittelpunkt: die Süddeutsche Zeitung.

Während man sich gegenüber der Constantin-Film und deren PR-Agentur bitter über Einschränkung journalistischer Freiheit beklagt, setzt das Blatt bei Tarantino auf eine noch junge filmjournalistische Disziplin: Ein Film wird rezensiert, von dem noch kein Meter gedreht worden ist. Kostprobe: "Schon der Rhythmus der Sprache, die einzigartig verdrehte und doch unwiderstehliche Logik der Dialoge, der Humor in den Regieanweisungen - hach, es ist unverkennbar: Tarantino, wie er leibt und lebt." Derart erweist sich Autor Tobias Kniebe erstens als wahrhaft begeisterungsfähig, zweitens als intimer Kenner der Tarantino-Schriftstücke mitsamt ihrer vorgeblich typischen orthographischen Schwächen und drittens als kongenialer Co-Regisseur, der dem berühmten Kollegen beiläufig Nastassja Kinski für eine Rolle vorschlägt. Kniebe ist nicht zu bremsen: Weder durch das Thema des Films (mutmaßlich ein Exploitationfilm voller Faszination für Nazis und Gewalt) noch durch die Tatsache, dass sich Teile der deutschen Filmkritik mit ihrem Jubel für Tom Cruise und Valkyrie erst jüngst bis auf die Knochen blamiert haben: Der Film war später bei Testvorführungen durchgefallen, der Starttermin wurde mehrmals geändert; statt die Berlinale zu eröffnen, soll der Film nun am 26. Dezember ins Kino kommen. Schon seinerzeit profilierte sich der Drehbuchkritiker Kniebe als Prophet: "Und es könnte ein großer Film sein. Vielleicht sogar ein Meisterwerk."

Im Fall des Baader-Meinhof-Komplex geht es unter umgekehrten Vorzeichen um die Freiheit der Information und um Grenzüberschreitungen. Der Versuch eines Medienkonzerns, alle Berichterstattung auf ein Datum hin zu trimmen, ist nicht neu. Neu sind die drastischen Sanktionsandrohungen und das exzessive Schweigegebot, das eine Firma einer privilegierten Gruppe von Vorabzuschauern auferlegen will. Da mischen sich zwei unvereinbare Interessen: Der Wunsch, Presse bruchlos in ein großes PR-Orchester zu integrieren, und die Angst der Presse, in dieser formierten Mediengesellschaft unbeachtet unterzugehen.

Ein gängiges Fluchtmuster von Presse wie Fernsehen ist die Vorverlegung von Ereignissen und Gedenktagen. Eine andere Möglichkeit ist freiwillige Selbstzensur - wie die SZ-Reaktion. In keinem der Fälle herrscht eine Spur von souveränem Vertrauen in das eigene Produkt. Vielmehr zeugen News-Wildereien, Knebelungsversuche, verfrühte Euphorie und späte Verweigerung - von Internet-Verdammung ganz zu schweigen - von Hysterie und medialer Krisenstimmung.

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