Von der so kurzen wie desaströsen Leitung des Chris Dercon hat sich die Berliner Volksbühne nach drei Jahren immer noch nicht erholt. Bislang blieb das verantwortliche Team ruhig, nun meldet sich der ehemalige Redaktionsleiter auf zwei Seiten im letzten Freitag (19/2020) zu Wort, um die Geschichte noch mal aufzurollen. Timo Feldhaus nimmt die derzeit vor dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wütende Verschwörungswahn-Epidemie zum Anlass, um einen fatalen Zusammenhang zu behaupten: Damals schon sei die Dercon-Volksbühne von einem Mob linksrechtsdeutscher Querfrontler angegriffen und anschließend besetzt worden. So habe also alles angefangen! Zwar gibt er zu, dass die heutigen Pöbler der „Corona-Diktatur“ nicht dieselben sind, die damals das Theater vor dessen Zerstörung retten wollten. Doch sei der „Geist“ derselbe.
Eines stimmt schon: Das Clownsduo Lenz & Sodenkamp, das die aktuelle Aluhut-Bewegung ins Rollen gebracht hat, war auch 2017 an den Protesten beteiligt. Gegen sie positioniert sich jedoch unmissverständlich das Kollektiv „Staub zu Glitzer“, damals Initiator der Besetzung. Ebenfalls lehnen Akteure der Kulturszene Zwangsrekrutierungsversuche der sperrangelweit nach rechts offenen „Hygiene-Demos“ so kategorisch ab, wie sie seinerzeit die Volksbühnenbesetzung unterstützten. Dazu gehöre ich, und ich finde Feldhaus’ Unterstellungen unannehmbar. Gewiss bekam man damals wie bei jeder Graswurzelversammlung auch ziemlich konfuses oder grobschlächtiges Zeug zu hören und lesen. Aber ein „schwarz glänzendes Reich, in dem die radikale Linke und die radikale Rechte zusammen gegen den neoliberalen Feind kämpften“, bekam ich nicht zu Gesicht. Vielmehr stellte sich die AfD auf Dercons Seite und verlangte die rasche Räumung der Besetzer. Die Erzählung, die uns Feldhaus jetzt serviert, ist bloß eine weitere Auflage der Hufeisentheorie: Links gleich rechts, und wer sich gegen den Gang der Dinge auflehnt, kann nur ein Feind der freiheitlichen Ordnung sein. Von seinem einstigen Boss hat er gelernt, sich selbst vorsichtshalber zu widersprechen; so hätten damals die jungen Menschen doch „das Richtige gewollt“, nur leider „am falschen Ort“, sprich: am Arbeitsplatz von Feldhaus.
Als ich den Artikel las, fiel mir indes eine andere Parallelität auf. Eigentlich teilen das Dercon-Team und die heutigen „Hygiene-Demos“ mehr Merkmale, als ihnen lieb sein kann. Angefangen mit dem Missbrauch des Theaters. Im Grunde ist beiden Projekten die Volksbühne schnuppe, sie ist nur Symbol, Markenzeichen, Projektionsfläche. In beiden Fällen wird das Opfergejammer („Alle hassen uns!“) mit Größenwahn gekoppelt („Wir sind die wahre Avantgarde“). Um die eigene Inhaltsleere zu kaschieren, wird ein Feindbild konstruiert, hier die veränderungsrenitenten Linksrechtsberliner, dort die gleichgeschalteten Vollstrecker des Merkelregimes. Und wenn die selbst ernannten Widerständler ihre Verbundenheit mit der Volksbühne herbeilügen, werden sie von Feldhaus auch, so scheint mir, noch bestätigt. Nur geht es heute nicht mehr um verpuffte Kunstpläne. Mit ihren „Hygiene-Demos“ haben die Zauberlehrlinge einen Geist aus der Flasche freigesetzt, der eindeutig rechts steht. Dagegen kann keine selbstmitleidige Klage helfen, sondern kritische Argumentation. Und öffentliche Ablehnung.
Kommentare 4
Tatsächlich verweisen Sie auf ein Dilemma, das Herr Feldhaus für sich selbst zwar reflektiert, er ist unsicher und formuliert das auch, aber eben nicht aufhebt.
Schließlich war er die Stimme seines Herren, des "Boss", dem er zwar eine Menge Fehler attestiert, ihn aber zu Recht vor den Vorwürfen in Schutz nimmt, er sei ein Knecht des "Systems", ein neoliberaler Eventmanager, der einem Kultursenator und der Stadt Berlin zu mehr internationaler Beachtung verholfen hätte ("Kosmopolit", negativ gemeint; inthronisiert, "gegen den Willen des Volkes", als ob der Volkswille gutes Theater garantiere).
Ganz grundsätzlich geht es aber um die Frage, ob Persönlichkeiten die Generalverantwortung für das Theater erhalten sollten, die sich nicht durch eine breite eigene Aufführungspraxis, auf Theaterbühnen, qualifizieren konnten. Bezogen auf Dercon, war eben eine Kuratorenfunktion und Kunstmuseumsleitung, kein Ausweis, obwohl der "Macher" auch auf theaterwissenschaftliche Studien verweisen konnte. - In meinen Augen, war das eine Schnapsidee der Berliner Kulturpolitik.
Eine Nebenfrage wäre dann auch noch, ob, wie in anderen Bereichen, die die Zivilität und Kultur einer Gesellschaft ausmachen, z.B. in Krankenhäusern, die wichtigste Leitungsverantwortung, nämlich die über die Budgets und das Personal, in den Händen von Betriebswirten oder Managern liegen sollte, die den ÄrztInnen und Pflegern sagen, wie sie arbeiten, besser ausgedrückt, wirtschaften sollen.
Dass sich die AfD für Dercon aussprach, war deren politische Taktik. Es lag aber gewiss nicht an den Absichten und Plänen des Belgiers.
Und nun haben wir wieder so eine Situation, bei der Frank Casdorf, der mit Gewissheit nicht eine einzige Grundüberzeugung mit den Rechten teilt, plötzlich als Mitgefangener einer tatsächlich seltsamen Pseudoquerfront gilt.
Casdorf selbst, machte kein erwünschtes Repertoiretheater, das traditionell historisch abspielt, was dem bürgerlichen Publikum seit Jahrzehnten bekannt ist oder eine "volksnahe" Nationalkultur begründen könnte, nach der sich der bürgerliche Teil der Rechten vielleicht sehnen mag.
Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp geben jedoch aktuell einem Affen Zucker, der mit solchem Wahn und Seelenbräu, medial noch kräftig befeuert, BürgerInnen dazu bringt, die kulturellen Einrichtungen für entbehrlich zu halten, obwohl wir sie gerade jetzt nötiger denn je haben. - Sie grenzen sich zu Recht von ihren ehemaligen Mitstreitern ab, Herr Paoli.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Sicher ist die Strategie der Okkupierung regierungskritischer Proteste (bzw. Demonstrationen) durch Rechtsextreme und andere Radikale ein großes Problem, und für die Demonstranten nur schwer lösbar.
Ich beobachte allerdings ebenfalls mit großer Sorge die in vielen Medien - leider einschließlich der öffentlich-rechtlichen Medien - betriebene Delegitimierung jeglichen (!) Protestes unter Verweis auf den verunglimpfenden Begirff der "Querfront". Daraus ergibt sich auf mittlere Sicht eine substantielle Gefährdung des offenen Charakters unserer Gesellschaft. Die Delegitimierer betreiben damit - vielleicht bzw. hoffentlich ungewollt - das Geschäft der Radikalen, die genau das wollen: Ein Ende der offenen Gesellschaft.
Wenn es so ist, daß Mit ihren „Hygiene-Demos“ haben "die Zauberlehrlinge" mit ihren „Hygiene-Demos“ "einen Geist aus der Flasche freigesetzt, der eindeutig rechts steht", dann ist wohl etwas dran an der Aussage, daß sich letztlich die Linksradikalen mit den Rechtsradikalen treffen. Das ist übrigens auch eine historische Erfahrung: Als Hitler die Macht übernommen hatte, sind viele Linke scharenweise zu den NAZIS übergelaufen. Unsere jüngste Erfahrung ist, daß Linke auf ein wahrlich nicht rechtes Filmteam einprügeln.
"...die genau das wollen: Ein Ende der offenen Gesellschaft."
Ich möchte da noch eine Sache hinzufügen oder ersetzen, da sie mir doch insbesondere bei der derzeitigen Lage ganz offensichtlich erscheint:
"...: das Ende einer nach links offenen Gesellschaft"