Keine Reue, Leute

10 Jahre Lehman-Pleite Was machen die Schlüsselfiguren des Bankrotts heute? Wer gibt Fehler zu? Und wer macht einfach weiter, als wäre nichts passiert?
Ausgabe 39/2018
Dick Fuld, Erin Callan, Karl Dannenbaum, Peer Steinbrück, Ben Bernanke, Steve Eisman (Personen im Uhrzeigersinn)
Dick Fuld, Erin Callan, Karl Dannenbaum, Peer Steinbrück, Ben Bernanke, Steve Eisman (Personen im Uhrzeigersinn)

Fotos: Getty Images (5), dpa

Dick Fuld

Damals: Vorstandsvorsitzender von Lehman Brothers

Heute: Chef des Vermögensverwalters Matrix Private Capital

Der Gorilla: Richard „Dick“ S. Fuld Jr. arbeitete seit 1966 für Lehman Brothers, zuerst als Postbursche, dann als Wertpapierhändler, schließlich – in den 14 Jahren, bevor die Bank in Konkurs ging – als Vorstandsvorsitzender. Fuld, der den Spitznamen „Der Gorilla“ trug, machte allerhand andere für die Pleite verantwortlich – die Regierung, die Finanzaufsicht, haltlose Gerüchte –, während er selbst nur wenige Fehler zugab. Die Lehman-Angestellten sahen das anders. Bei einer Anhörung im US-Kongress beschrieb ihn ein Abgeordneter als „Schurke“, auch weil Fuld in den letzten acht Jahren seiner Amtszeit insgesamt knapp 500 Millionen Dollar verdient hatte. 2016, im Alter von 72 Jahren, gründete Fuld die Vermögensverwaltungsfirma Matrix Private Capital, die laut Fuld dadurch erfolgreich sein will, dass sie „im Zeitalter von automatisiertem Algo-Trading im Finanzsektor“ immer noch an den „Wert von Beziehungen“ glaubt. Öffentlich aufgetreten ist Fuld seit der Lehman-Pleite nur selten, einmal allerdings, im Jahr 2015, hielt er eine Rede auf einer Konferenz in New York und sagte: „Was auch immer du machst, volles Rohr! Und keine Reue.“

Erin Callan

Damals: In Ungnade gefallene Finanzvorständin

Heute: Im Ruhestand

Die Superpositive: Callan, eine Rechtsanwältin, fing 1995 bei Lehman an und wurde Ende 2007 Finanzvorständin. Eine Zeit lang half ihr „superpositiver“ Stil, die Aktionäre zu beruhigen, doch Richard Fuld schmiss sie zwei Monate vor der Pleite raus. Später wurde kritisiert, Callan sei ungeeignet gewesen, die Finanzen einer großen Investmentbank zu führen, da sie nicht einmal über elementare Buchhaltungsqualifikationen verfügte. Ein Bericht des Konkursgerichts warf ihr vor, „zahlreiche Warnsignale“ übersehen und Lehmans Bilanzen um 50 Milliarden Dollar aufgehübscht zu haben. Callan arbeitete kurz für die Credit Suisse, bevor sie sich beurlauben ließ und nicht mehr zurückkehrte. In ihren Memoiren (2016) schrieb sie, sie habe im Dezember 2008 eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Heute lebt sie mit ihrem Mann, einem pensionierten Feuerwehrmann, und ihrer Tochter in New York und Florida.

Ben Bernanke

Damals: Chef der US-Zentralbank

Heute: Berater der Investmentgesellschaft Pimco

Helicopter Ben: Bernanke, seit 2006 im Amt, übersah alle Anzeichen für eine drohende Finanzkrise, handelte aber entschieden, als Lehman erst mal pleitegegangen war. Dabei half ihm der Umstand, dass er sich akademisch intensiv mit der Großen Depression der 1930er beschäftigt hatte. Er führte die Federal Reserve, die US-Zentralbank, dazu, die Zinssätze auf null zu senken, und startete gemeinsam mit anderen Zentralbanken ein Programm der „quantitativen Lockerung“, mit dem elektronisches Geld in die Wirtschaft gepumpt wurde, um eine zweite Große Depression zu vermeiden. Bernanke hatte schon 2002 gesagt, die Gefahr einer Deflation könne man einfach mit der Notenpresse bekämpfen, dem Äquivalent dazu, Geld aus dem Hubschrauber zu werfen. Seit seinem Ausscheiden aus der US-Zentralbank im Jahr 2014 war Bernanke Fellow am Thinktank der Brookings Institution, bevor er zusätzlich Berater von Pimco wurde, der gigantischen US-Investmentgesellschaft, und von Citadel, einem Hedgefonds: Beides Jobs, die – Bernanke selbst stritt das nicht ab – Bedenken über die engen Verflechtungen zwischen der Zentralbank und dem Finanzsektor bestätigen.

Steve Eisman

Damals: Fondsmanager bei FrontPoint Partners

Heute: Fondsmanager bei Neuberger Berman

Der Krisengewinnler: Als Lehman Brothers pleiteging, löste das ein Börsenbeben aus, auf das Steve Eisman gewartet – und gewettet – hatte. Der Fondsmanager aus New York war eine „Short“-Position auf Collateralized Debt Obligations eingegangen, bei denen hochriskante Hypothekendarlehen als sichere Anlage verbrieft und verkauft worden waren, das heißt: Er hatte darauf gesetzt, dass sie an Wert verlieren würden. Damit verdiente Eisman eine Milliarde Dollar. Das Buch The Big Short erzählt Eismans Geschichte – wie der gleichnamige Film, in dem Steve Carell ihn spielte. Eisman war seitdem als Investor eher mäßig erfolgreich. Kürzlich warnte er, dass Kryptowährungen sinnlos seien. Und: Er wettet nun gegen den kanadischen Wohnungsmarkt, US-Autokredite und Tesla, den Elektroautobauer.

Peer Steinbrück

Damals: Deutscher Finanzminister

Heute: „Senior Adviser“ der Bank ING-DiBa

Stinkefinger: Steinbrück, seit 2005 Bundesfinanzminister, führte als solcher die Politik seines Vorgängers Hans Eichel weiter, den Finanzsektor von Regulierung möglichst zu verschonen und stattdessen die Bedingungen für den Handel mit forderungsbesicherten Wertpapieren zu „verbessern“, sprich: weiteres Öl in jenes Feuer zu gießen, das von 2007 an alles abzufackeln drohte. Steinbrück gibt heute zu, die Krise nicht kommen gesehen zu haben. Wie ahnungslos er war, lässt sich daran ablesen, wie er das Wochenende der Lehman-Pleite erinnert: Steinbrück absolvierte ein Finanzministertreffen in Nizza, wonach er abends auf der Dachterrasse in lauer Sommerbrise kühlen Weißwein getrunken habe, ohne Lehman überhaupt zu erwähnen. Er erklärte das deutsche Bankensystem für stabil und keiner Rettung bedürftig, bevor er die Hypo Real Estate mit insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro an staatlichen Garantien stützen musste und mit Angela Merkel vor die Kameras trat, um deutschen Sparern zu versichern, dass ihre Einlagen sicher seien.

Karl Dannenbaum

Damals: Chef der deutschen Lehman-Tochter

Heute: Rentner

Nur die Besten: Der deutsche Unternehmersohn studierte ab 1966 in Harvard (USA) und arbeitete danach als Berater – dann nahm er sich ein Jahr frei und begann eine Gesangsausbildung in Rom. Danach arbeitete Dannenbaum für Goldman Sachs und Boston Consulting, bevor er 1998 bei Lehman Brothers anfing und 2001 Deutschland-Chef wurde. Noch 2007 sprach er mit dem Handelsblatt über sein Studium und die Arbeit bei Lehman so: „Wir brauchen Eliten! Aber es geht darum, wirklich die Besten, unabhängig von ihrer sozialen oder sonstigen Herkunft, anzuziehen.“ Zehn Jahre nach der Pleite klingt Dannenbaum doch etwas anders: Im Interview mit dem Zeitmagazin sagte er vor kurzem: „Wenn Fuld“ – der Ex-Lehman-Vorstandsvorsitzende – „nur ein bisschen vom Gas gegangen wäre, wenn er weniger Feinde gehabt hätte und bessere Verbindungen in die Politik – dann wäre Lehman Brothers heute noch da.“

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