Keine Schlacht um Addis Abeba

Äthiopien Im Bürgerkrieg herrscht nun faktisch Waffenruhe. Aber Frieden ist fern
Ausgabe 03/2022
Ein Soldat der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People’s Liberation Front, TPLF) in Hayk, Äthopien
Ein Soldat der Volksbefreiungsfront von Tigray (Tigray People’s Liberation Front, TPLF) in Hayk, Äthopien

Foto: Amanuel Sileshi/AFP/Getty Images

Präsident Abiy Ahmed, Friedensnobelpreisträger von 2018, den viele schon abgeschrieben haben, spricht von Friedenssehnsucht. Nach 14 Monaten Bürgerkrieg soll es zur Versöhnung kommen mit den Erzfeinden aus der Nordprovinz Tigray. Vor zwei Wochen, zum orthodoxen Weihnachtsfest in Äthiopien, gab der Staatschef bekannt, dass zahlreiche hochrangige politische Gefangene der Gegenseite amnestiert würden, darunter Führer der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF).

Die Afrikanische Union, die seit Langem nach einem Waffenstillstand ruft, begrüßt das. Inzwischen plädiert Abiy Ahmed für einen nationalen Dialog zwischen den Volksgruppen. Eine erstaunliche Wende, denn noch vor wenigen Wochen stand die kampferprobte Rebellenarmee der TPLF weniger als 200 Kilometer vor Addis Abeba. Mit einer blutigen Schlacht um die Millionenstadt wurde fast täglich gerechnet. Niemand, so schien es, konnte die Angreifer noch aufhalten. Die hatten immerhin die äthiopische Armee und die mit ihr verbündeten amharischen Milizen aus ihrer Provinz geworfen, die Hauptstadt M’kele wieder befreit und im Vormarsch nach Süden Großstädte wie Verkehrsknotenpunkte erobert. Ende Dezember aber zog sich die TPLF plötzlich zurück in ihre Heimatprovinz, nachdem es der äthiopischen Armee gelungen war, einige Provinzzentren zurückzuerobern. Indem sich die kurz zuvor noch erbittert attackierenden Kriegsparteien voneinander lösten, führten sie eine faktische Waffenruhe herbei.

Addis Abeba atmete auf, die Bewohner fragten sich, wie dieser Umschwung zu erklären war. Es gab wenigstens zwei militärische Gründe. Schließlich drohte ein zermürbender Häuserkampf in einer Millionenstadt und damit auf einem der TPLF wenig vertrauten Terrain. Sie musste mit dem erbitterten Widerstand der Armee Abiy Ahmeds und einer Bevölkerung rechnen, die ihr extrem feindlich gesinnt war. Zudem lagerten in der Hauptstadt genügend Waffen, Munition und kampfstarke Einheiten, um eine lange Schlacht durchstehen zu können. Teilweise waren die Bewohner bereits zu Milizen formiert. Tigrayer, die in Addis Abeba lebten, hatte man massenhaft festgenommen und eingesperrt. Milizen anderer ethnischer Gruppen rückten in die Stadt ein, begierig darauf, den verhassten Gegner aus dem Norden zu schlagen.

Erschwerend für die TPLF kam hinzu, dass sie weder über genügend Kampfjets noch eine wirksame Luftabwehr verfügt. Die Air Force der Regierungsarmee dagegen war imstande, nicht nur die wichtigen Eisenbahntrassen nach Norden, zum Hafen von Djibouti, offen zu halten, sondern den Rebellen überall, auch in ihrer Heimatprovinz, empfindlich zuzusetzen. Nicht zuletzt durch den Einsatz von Drohnen konnte das Lager von Abiy Ahmed dem Gegner empfindliche Verluste bereiten. Wieder einmal, wie schon 2020 im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien, haben Gefechtsdrohnen ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt. Die Türkei, die diese Waffen produziert und liefert, macht glänzende Geschäfte. Die Streitkräfte, die sie einsetzen, schwören darauf.

Aber nicht nur deshalb haben die Kommandeure der TPLF den Rückzug nach Tigray beschlossen. Dazu veranlasst hat mindestens ebenso eine beklemmende humanitäre Lage, wenn im Norden Flüchtlingstrecks und -camps weiter bombardiert wurden. Das ließ sich nur aufhalten, sollte die Regierungsarmee durch eine Feuerpause zurückhaltender agieren. Freilich reicht auch das nicht für einen Friedensprozess, wenn eine weitere Kriegspartei – Eritrea im Norden – auf eigene Faust weitermacht. Die Eritreer haben mit der TLPF noch Rechnungen aus früheren Konflikten zu begleichen – sagen sie zumindest. Tatsächlich soll keine schlagkräftige, kriegserfahrene TPLF-Armee an der Südgrenze Eritreas stehen. Solange die ihre Kampfkraft bewahrt und über erbeutete Waffen modernster Bauart verfügt, will die Regierung von Isayas Afewerki in keinen Friedensprozess einsteigen.

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