Keine Schönwetter-Legalität mehr

Streikverbot Die Lokführergewerkschaft soll unter allen Umständen gezähmt werden

Unversehens hat die Streikbereitschaft der Lokführer zu einem Konflikt um die Grundlagen des brüchig gewordenen deutschen Sozialpartnerschafts- und Tarifmodells geführt. Was bei den Ärzten der aus dem Verdi-Verbund ausscherende Marburger Bund und die Vereinigung Cockpit der Piloten erfolgreich vorexerziert haben, scheint Schule zu machen. Verdächtig einhellig ist die Klage von Arbeitgeberverbänden, großen Einheitsgewerkschaften und Politikern, hier wollten elitäre Gruppen unsolidarisch ihre Sonderinteressen durchsetzen.

Nur ist das nicht einmal die halbe Wahrheit. Tatsächlich wurden die Flächentarifverträge durch gewerkschaftliche Zugeständnisse an unternehmerische Sonderinteressen und die Akzeptanz von ausgelagerten Billiglohn-Strukturen längst ausgehöhlt. Seit den neunziger Jahren ist das Lohnniveau in der BRD kontinuierlich gesunken und liegt mittlerweile auch in qualifizierten Bereichen unter dem EU-Durchschnitt, was zusammen mit der geringen Anzahl der Streiktage als "Standortvorteil" gelobt wird.

Kein Wunder, dass sich immer mehr Beschäftigte nicht mehr vertreten fühlen, wenn die Einheitsgewerkschaften bloß noch den sozialen Rückschritt mitverwalten, wie zuletzt der blamable Lohnsenkungs-Konsens bei der Telekom gezeigt hat. Die Gewerkschaft der Eisenbahner hat sich in Transnet umbenannt, als wollte sie selber an die Börse gehen und sowohl den Personalabbau als auch die Privatisierungspolitik mittragen. Galoppierender Mitgliederschwund als Abstimmung mit den Füßen ist eine Folge dieser Zahnlosigkeit, das separate Agieren von "bissigen" Berufsverbänden die nächste logische Folge. Wenn die Lokführer vorrechnen, dass sie bei gestiegenen Anforderungen ihre Familien nicht mehr ausreichend ernähren können, ist das kein Standesdünkel, sondern ein Armutszeugnis für die bisherige Tarifpolitik bei der Bahn. Das geltend gemachte Sonderinteresse steht nicht für sich, sondern liegt gleichzeitig quer zur allgemeinen Tendenz von Billiglohn, Sozialabbau und mangelnder Gegenwehr. Das ist wohl auch der Grund, warum in Umfragen der Lokführerstreik bei mehr als 70 Prozent der Bevölkerung Zustimmung findet.

Die Nürnberger Arbeitsrichterin Silja Steindl hat auf Antrag des Bahnkonzerns durch eine einstweilige Verfügung diesen Streik zunächst verboten. Begründung: Die volkswirtschaftlichen Schäden wären zu groß. Prominente Arbeitsrechtler sind entsetzt und sprechen klar von Rechtsbeugung. Aber die Arbeitsrichterin übt nur vorauseilenden Gehorsam. Schon fordern die Arbeitgeberverbände eine gesetzliche Begrenzung des Streikrechts. Margaret Thatchers "Zähmung" der Gewerkschaften in Großbritannien Anfang der achtziger Jahre lässt grüßen. Die deutschen Gewerkschaften müssen nicht erst gezähmt werden - sie sind von Haus aus zahm. Um so mehr sorgen "aggressive" Berufsvertretungen in Konkurrenz zu den lahmen Großtankern für eine veränderte Lage - ähnlich wie in Frankreich. Dort hat Präsident Sarkozy gerade ein Anti-Streik-Gesetz vorgelegt.

Wie sich zeigt, ist das Ende der Schönwetter-Tarife auch das Ende der Schönwetter-Legalität. Wenn sich ernsthafte Gegenwehr auf berufsständische Kleingewerkschaften beschränkt, kann sie wahrscheinlich an die juristische Kette gelegt werden. Größerer Widerstand in Verbindung mit einer überfälligen gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Grenzen des Kapitalismus geht nicht durch dieses Nadelöhr. Allerdings verweist die starke Schlüsselstellung etwa der Lokführer auf die Anfälligkeit der Just-in-time-Produktion, wenn die kapitalistischen Nervenbahnen unterbrochen werden. Die könnten auch durch eine soziale Massenbewegung blockiert sein. Gewiss, solch neue Kampfformen wären illegal, das aber war der gewöhnliche Streik auch einmal und soll es jetzt wieder werden.


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Geschrieben von

Robert Kurz

Publizist und Journalist

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