Vor knapp zehn Jahren, am 29. August 1995, starb der Schwarzwälder Dramatiker, Romancier, Maler, Zeichner und Drehbuchautor Thomas Strittmatter in seiner Prenzlauer Berger Wohnung. In Berlin, wo er via Karlsruhe (dort hatte er Malerei studiert) und München geraten war, erlebte er nicht einmal seinen 33-jährigen Geburtstag. Das Herz, das er lange vernachlässigt hätte, machte nicht mehr mit. Der Tod beendete plötzlich die ausschweifenden Nächte im "Torpedokäfer", seiner Stammkneipe seit 1994, und die Tage eines schöpferischen Neubeginns in der kulturell gespalteten Hauptstadt. Es war ein einsamer Tod. Der letzte Grappa war noch mit einem heiteren Optimismus geleert worden: "Erstmals seit Wochen fühle ich mich wieder wunderbar". Seine neuen Be
Berliner Freunde (zu denen ich mich zählte) waren entsetzt, während seine älteren in seiner Heimatstadt nur noch auf den Sarg warten konnten.Da, wo das Leben endet, berichtet die Dokumentation von Bettina Petry und Peer Martiny nur wenig; sie setzt bei Kindheit und Jugend ein, verknüpft Strittmatters Lebensstationen, ohne wirklich die Reise rückwärts anzutreten. Es ist ein Porträt, chronologisch aufgezogen, mit feinen biographischen Querschnitten. So gesehen - ein schönes Porträt, das es jedoch versäumt, die existentiellen Nöte des Dichters herauszuarbeiten.1961 in St. Georgen im Schwarzwald geboren, wuchs Strittmatter in einem dörflichen Milieu auf, zwischen Schlachthöfen, einer scheinbar intakten Gemeinschaftlichkeit und einer Naturidylle, die dem flüchtigen, undistanzierten Blick die Verdrängung der Nazizeit hätte leicht machen können. Strittmatter beugte sich allerdings der trügerischen Beschaulichkeit nie. Die unbewältigte Vergangenheit drückte aufs Gemüt des Nachgeborenen, schärfte Sinne und Verstand. Schon sehr früh schrieb er alles auf, was auf eine Maske hindeutete, malte, wenn ihm das Schreiben nicht reichte, verortete im Bild und Wort gleichermaßen akribisch die Konturen seiner dörflich-kleinstädtischen Lebenswelt. Bald bahnte sich die Einsicht ihren Weg: Irgendwas ist faul in der Heimat. Strittmatter beschloss Künstler zu werden.Die Eltern beugten sich dem Wunsch des jüngsten Sohnes nach der "brotlosen Kunst", die für ihn doch zum Verhängnis werden sollte. Vor allem Anekdotisches, nicht jedoch ein stringentes, inneres Band von Leben und Werk, findet der Zuschauer bei Petry und Martiny. Strittmatters Lebensphasen - als Maler und Dichter - werden dabei klar und schnörkellos aufgezeigt: Ein Zug, der das Dörfliche verlässt. Karlsruhe - die Phase malerischer, lebensdurstiger Experimente. Dann München, das noch an die Heimat erinnert, aber ihn in eine erste, bedrückende Anonymität katapultiert. Schließlich die kurze Berliner Zeit (1993-95), die neuere, größere Distanzen aufreißt. Im Schatten des ersten Erfolgs versucht der Dichter sich neu zu erfinden, ein neues Werk zu entwerfen.Der Bezug auf die große Welt vertreibt jedoch Eigenes, den ursprünglichen Kontext keineswegs, auch nicht in Frankreich oder New York, wo er schon einen Namen hat. So berichtet der Freund und Filmregisseur Jan Schütte: Strittmatter ist souverän, weil er seine Weltläufigkeit nicht überspannt. Der ruhige, bescheidene Schwarzwälder, der in seiner sprachlichen Knappheit an eine wohlüberlegte, ständige Montage erinnert, könne durchaus mit Georg Büchners Größe verglichen werden.Andererseits war da die Hast des Lebens, dem er stets das Werk abtrotzte. "Jeder Griff muss sitzen!" Joseph Beuys vitalistisches Postulat, das diesem artistischen Schaffenstakt ein festes Band von Leben und Kunst zukommen lässt, endete bei Strittmatter mit einem unglücklichen Bewusstsein. Die Spaltungen waren zu tief, die Risse kaum zu überbrücken. Der Verdrängung historischer Heimatwahrheiten, die er durch genaues Hinsehen aufzubrechen versuchte, folgte eine Verdrängung eigener Gebrechlichkeiten. Sie wurden als zu unwichtig vernachlässigt, diese kranken, warnenden Signale, die dem Werk und dem rauschhaften Leben im Wege standen. Heimat, ihr innerster Bezirk, die eigene Haut als letzte Schicht der Existenz: Man versteht sie nur, wenn man sich darüber hinwegsetzt - und schließlich schweigt.Strittmatter war stets ein guter Ratgeber in Sachen Gesundheit, empfahl mehr als einmal im "Torpedokäfer" befreundeten Biertrinkern ausgleichendes Magnesium, um getrost weiter trinken zu können. Was ihn betraf, verdrängte er seinen Aortaklappenfehler, der dringend nach einer Reparatur verlangte. "Es hat noch Zeit!" sagte er gelassen. Nicht "keine Zeit verschwenden!"Mit seinem dramatischen Erstling Viehjud Levi, das er bereits mit 17 Jahren schrieb, gelang dem jungen Autor einen "Geniestreich", so die damals begeisterte Kritik. Die späteren Stücke erreichten nicht den gleichen Erfolg, kamen zumeist nicht über den Applaus der Uraufführung hinaus. Der Dramatiker war unglücklich. Man spielte ihn nicht. Die Stücke erscheinen als "pathologisch und nekrophil", sind überdies einstigen und neuerlichen Faschisten Produkt eines "perversen Gesindels", so ein Brief "aus der Heimat" von 1987, den Petry und Martiny Strittmatter vorlesen lassen. Er hat den neuen Fremdenhass in der deutschen Idylle genau unter die Lupe genommen, zum Beispiel in seinem Stück Polenweiher (1984).Strittmatter verband den Aufklärungsgestus mit einem zwiespältigen, aber immanenten Heimatbegriff, er blieb dabei einer archaischen Beschreibung seiner verschiedenen Schattierungen verpflichtet, widersetzte sich einer schlagwortartigen Kapitulation vor der "modernen Versprengung" kultureller Identitäten. Innewohnende, unumgehbare Heimat, das machte seine Weitläufigkeit aus.Der Dramatiker schrieb nicht nur Theaterstücke, sondern auch Drehbücher, die große Entwürfe suggerierten, aber dem Kleinen detailgetreu folgen. So Drachenfutter (1987), Königsstechen (1988) oder Winckelmanns Reisen (1990). Auf Wiedersehen Amerika (1994), seine dritte Zusammenarbeit mit Jan Schütte, zeigte facettenreich jüdische Heimatlosigkeit, die sich im Kleinen niederschlägt. Es sind die Details, die mehr erzählen als große Tiraden: Einer schneidet Zwiebel in der Hand, weil man keinen Tisch hat. Strittmatters Poetik entstand stets aus der genauen Beobachtung heraus, aus Details, die sonst oft verborgen bleiben, so wiederum Jan Schütte.1995 erlebte Strittmatter nur noch den Rohschnitt seines letzten Films Bohai Bohau (Regie Didi Danquart). 1999 wurde sein Erstling Viehjud Levi ebenfalls von Danquart verfilmt. Die Dokumentation Keine Zeit verschwenden bringt noch einmal posthum die dramatische Schärfe des zu jung gestorbenen Dichters zur Geltung und räumt post mortem, in diesen zehn verschwenderischen Jahren, dem Dichter einen berechtigten Platz unter den großen deutschen Dramatikern ein.Keine Zeit verschwenden. Zur Erinnerung an den Schriftsteller Thomas Strittmatter. Ein Film von Bettina Petry und Peer Martiny. Erstausstrahlung am Montag, dem 22. August 2005, 22.25 Uhr; 3sat.
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