Aufklärung ist eine schwierige Sache, vor allem, wenn sie von den Aufklärern selbst sabotiert wird. Viele Fragen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sind noch ungeklärt, doch der Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg bleibt handzahm. Womöglich liegt das auch daran, dass es einigen Mitgliedern weniger um Aufklärung geht als um das Image des staatlichen Sicherheitsapparates. Teilweise gibt es sogar handfeste Interessenkonflikte. Im Ausschuss sitzt etwa der FDP-Politiker Ulrich Goll, der früher Justizminister und damit Dienstherr der ermittelnden Staatsanwaltschaft war.
Im Jahr 2007 wurde in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet, nach Ansicht der Bundesanwaltschaft waren es die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Doch an dieser Zwei-Täter-Theorie gibt es erhebliche Zweifel. Bis heute sind viele Fragen ungeklärt: Wer waren die Täter? Was waren die Motive? Wer wusste davon? Warum tappten die Ermittler so lange im Dunkeln? Waren Polizei oder Geheimdienst vielleicht sogar an der Tat beteiligt? Es ist der rätselhafteste aller NSU-Morde und womöglich ein Schlüssel zur Aufklärung der gesamten Mordserie, der nach bisherigen Kenntnissen zehn Menschen zum Opfer fielen.
Im Stuttgarter Landtag gibt es nun einen Untersuchungsausschuss, der sich mit den Verfehlungen des Sicherheitsapparats befassen soll. Inzwischen ist dort ein Machtkampf ausgebrochen – ein Machtkampf um die Aufdeckung der Hintergründe und die Verstrickung von Sicherheitsorganen in die Verbrechensserie.
Das schärfste Schwert
Die Geschichte des Ausschusses beginnt aber eigentlich schon ein Jahr vor seiner Existenz. Im Februar 2014 veröffentlichte der SPD-Landesinnenminister Reinhold Gall einen Bericht zum Mord, erstellt von der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ des Landeskriminalamtes. Ein oberflächliches und mangelhaftes Werk, das dennoch von allen im Landtag vertretenen Fraktionen – von Grünen bis FDP – hoch gelobt wurde. Der Tenor: Besser könne es ein Untersuchungsausschuss gar nicht machen. Der SPD-Abgeordnete Nikolaos Sakellariou sagte damals: „Der Bericht ist gerade deshalb so gut, weil er nicht alle Fragen beantwortet.“ Der FDP-Vertreter Ulrich Goll meinte: „Natürlich sind nicht alle Rätsel gelöst – sie können wahrscheinlich auch nicht gelöst werden.“ Und auch der CDU-Mann Thomas Blenke war sich sicher: „Ein Untersuchungsausschuss bringt keinen Gewinn.“
Ein Jahr später sitzen Sakellariou, Goll und Blenke in eben einem solchen Ausschuss. Sakellariou und Goll als Obmänner ihrer Fraktionen, Blenke sogar als stellvertretender Vorsitzender des Gremiums.
Wie konnte es dazu kommen? Journalisten brachten immer wieder neue Unstimmigkeiten zutage, auch Mitglieder des Untersuchungsausschusses im Bundestag bezweifelten die offizielle Version des Tathergangs in Heilbronn. Der Druck wurde immer größer. Also wurde in Stuttgart zunächst eine Enquetekommission eingerichtet. Sie hat jedoch nur wenig Befugnisse, kann weder Akteneinsicht erzwingen noch eigenständig Zeugen vorladen. Später kam dann der Untersuchungsausschuss.
Seit knapp vier Monaten gibt es dieses Gremium, angeblich das „schärfste Schwert“ des Parlaments. Allerdings scheinen sich mittlerweile die schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten: Vieles deutet darauf hin, dass die Aufklärung des Mordes nun durch den Untersuchungsausschuss selbst verhindert wird.
Vorsichtige Zeugenbefragung
In den ersten Sitzungen hatte das Gremium noch Atemberaubendes enthüllt. Während der NSU-Ermittlungen sollte auch der 21-jährige Zeuge Florian H. befragt werden, starb jedoch am Tag der Aussage in einem brennenden Auto. Die Polizei sprach von Suizid und ermittelte nicht weiter, das Auto und zahlreiche Gegenstände wie Laptop und Handy wurden nicht mehr untersucht. Die Familie aber – das zeigte sich im Untersuchungsausschuss – glaubt nicht an die Suizid-Version.
Später wurde auch die damalige Freundin von Florian H. im Ausschuss befragt. Zwei Wochen später starb sie an Lungenembolie. Bisher gibt es nur einen vagen Vorabbericht der Obduktion: Bei ihr „dürfte [!] sich aus dem unfallbedingten Hämatom im Knie ein Thrombus gelöst und die Embolie verursacht haben“.
Inzwischen scheint der Ausschuss über seine eigene Aufklärungsarbeit regelrecht erschrocken. Die Abgeordneten befragen die Zeugen nur noch vorsichtig, teilweise bleiben Fragen offen. Die Politiker ziehen vorschnell Schlüsse im Sinne der Behörden, fordern nicht die nötigen Akten an und nehmen hin, dass bestellte Akten nur schleppend geliefert werden. Zudem akzeptieren sie kritiklos die Regeln des Geheimschutzes – Akten dürfen nur eingesehen, jedoch nicht kopiert werden –, aufgestellt von Behörden, die eigentlich Untersuchungsgegenstand des Ausschusses sind.
Mehr als drei Monate hat es gedauert, ehe die Ermittlungsakten des Landeskriminalamts den Ausschuss erreichten. Die Akten zur V-Frau „Krokus“ kamen erst am Arbeitstag vor der Sitzung und damit so kurzfristig, dass die Abgeordneten sie vor dem Sitzungstag nicht mehr durcharbeiten konnten. Doch der Ausschuss blieb klaglos. Kritik an der Verschleppungspolitik des Innenministers war bisher nicht zu vernehmen.
Demnächst soll Christoph Meyer-Manoras vernommen werden, er war zum Zeitpunkt des Kiesewetter-Mordes der verantwortliche Staatsanwalt von Heilbronn und sabotierte womöglich die Ermittlungen. Er verweigerte die Veröffentlichung von Phantombildern für die Fahndung, verhinderte die Sicherstellung des privaten E-Mail Verkehrs von Michèle Kiesewetter und traf sich, an den offiziellen Ermittlungen der Soko „Parkplatz“ vorbei, mit dem Anschlagsopfer Martin Arnold, möglicherweise um gegen die Ermittler zu intrigieren.
Eigentlich müsste jedoch auch Ulrich Goll als Zeuge vernommen werden. Er war damals Justizminister und Dienstherr von Meyer-Manoras. Heute sitzt Goll im Untersuchungsausschuss. Wie soll er sein eigenes früheres Regierungshandeln aufarbeiten? Im Untersuchungsauftrag des Ausschusses findet sich ausdrücklich die Frage nach der Verantwortung baden-württembergischer Justizbehörden im Zusammenhang mit dem Kiesewetter-Mord. Goll müsste das Gremium schleunigst verlassen.
Der Aufpasser
Und dann ist da noch Matthias Fahrner. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages saß er als Vertreter der baden-württembergischen Landesregierung in der zweiten Reihe. Einer Beamtin des Landesverfassungsschutzes riet er, wichtige Aussagen nur in nicht-öffentlicher Sitzung zu machen. Dieser Matthias Fahrner sitzt nun auch im Stuttgarter Untersuchungsausschuss. „Als Unterstützung“, wie es offiziell heißt. Tatsächlich wohl eher als Aufpasser.
Schon im Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte sich ein Machtkampf zwischen Parlament und Exekutive entwickelt, wie nun in Baden-Württemberg. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: In Berlin standen die Obleute aller Fraktionen geschlossen gegen die Exekutive – in Stuttgart jedoch führt die Auseinandersetzung mitten in den Ausschuss hinein. Dort hat die Exekutive ihre Vertreter und Lobbyisten sitzen. Eine konsequente Aufklärung ist so nicht möglich.
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