Keine wirkliche Befriedung

Die NATO übernimmt das ISAF-Kommando in Afghanistan Die Strategie der USA ist gescheitert, aber ein strategisches Herangehen hat es ohnehin nie gegeben

Ein "Klima der Angst" herrscht in Afghanistan. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeichnete in ihrem jüngsten Report ein düsteres Bild der Lage in dem Land am Hindukusch. Erpressungen, willkürliche Verhaftungen und Überfälle seien an der Tagesordnung, die Gewalt gegen Frauen nehme zu. Die Sicherheitslage gefährde die Arbeit an einer neuen Verfassung und die anstehenden Wahlen. Offen benannte die Organisation auch die Verantwortlichen für diese Entwicklung: "Nach dem Sturz der Taleban haben die USA und ihre Koalitionspartner den Warlords zur Macht verholfen." Nicht selten seien Sicherheitskräfte und Politiker direkt und indirekt an Menschenrechtsverstößen beteiligt.

Überraschen kann diese Entwicklung nicht. Denn die Afghanistan-Strategie Washingtons ist gründlich gescheitert. Allerdings: Ein tatsächlich strategisches Herangehen hat es nie gegeben. Schon vor den US-Krieg gegen Afghanistan hatten Kritiker darauf verwiesen, dass mit Militärschlägen weder eine Demokratisierung des Landes erreicht, noch die Wurzeln des internationalen Terrorismus beseitigt werden können. (Nebenbei: Stichhaltigen Beweise, dass tatsächlich die Taleban oder El Qaida hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckten, sind die USA bis heute schuldig geblieben.) Trotzdem starteten die US-Bomber am 7. Oktober 2001 ihre massiven Angriffe auf Afghanistan.

Die militärische "Befriedung" führte zwar zur Entmachtung der Taleban in Kabul. An der wirtschaftlichen und sozialen Realität im Land hat sich jedoch nichts geändert. Washington hat stets Konzepte für das Führen von Kriegen, jedoch nie zur Lösung der ursächlichen Probleme. Nach wie vor gehört Afghanistan zu den ärmsten Ländern der Welt, immer noch werden Frauen und Mädchen diskriminiert (nur 30 Prozent der Mädchen können außerhalb der Hauptstadt eine Schule besuchen!). Völlig ungelöst ist die Sicherheitsproblematik; die Drogenproduktion nimmt - toleriert von den US-Truppen - wieder rapide zu und lässt die Kassen der Warlords klingeln. Tragfähige Programme, gerade zur Verbesserung der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Situation, fehlen bis zum heutigen Tag. Die zugesagten finanziellen Hilfen der internationalen Gemeinschaft sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Finanzbedarf Afghanistans in den nächsten zehn Jahren wird von den Vereinten Nationen auf mindestens 15 Milliarden Dollar geschätzt. Die Geberkonferenz im März hat für die kommenden zwölf Monate aber gerade einmal 1,8 Milliarden Dollar zugesagt.

Hinzu kommt, dass die Handlungsfähigkeit des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai auf die Hauptstadt beschränkt bleibt und sich Spannungen innerhalb der Regierung, geschürt durch verschiedene Stammesinteressen, mehren. Große Bevölkerungsgruppen, wie die Paschtunen, werden mit amerikanischer Unterstützung von der Macht fern gehalten. Bestehende Konflikte werden damit verschärft, neue angefacht.

Daran wird sich auch nichts ändern, wenn am 11. August die NATO das Kommando über die internationale Afghanistan-Schutztruppe ISAF übernimmt. Auch die Entsendung von regionalen "Wiederaufbauteams", die derzeit in Deutschland diskutiert wird, ist wohl eher symbolisch und als Anbiederung an Washington zu verstehen. Die Warlords, von den USA im Kampf gegen die Taleban hofiert und unterstützt, lassen sich ihren Einfluss nicht nehmen. Dass sie vor schwersten Menschenrechtsverbrechen, wie der Ermordung Hunderter Gefangener in Mazar-i-Sharif, nicht zurück schrecken, ist bekannt. Dabei können sie durchaus auf ihren "Verbündeten" USA verweisen: Die Missachtung des Völkerrechts, die Nichtanerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs oder die menschenunwürdige Behandlung und Entrechtung von Häftlingen auf Guantanamo und dem US-Stützpunkt Bagram bei Kabul scheinen legitim, wenn sie der Durchsetzung eigener Interessen dienen.

Eine wirkliche Befriedung Afghanistans wird Jahre brauchen. Statt eines erweiterten Mandats für NATO und ISAF ist der Aufbau einer handlungsfähigen nationalen afghanischen Polizei und von nationalen Sicherheitskräften notwendig. Parallel dazu muss die internationale Hilfe verstärkt und auf alle Landesteile ausgeweitet werden. Die Geberkonferenz, die im September erneut zusammen treten wird, sollte in dieser Hinsicht Zeichen setzen.

Der Autor informierte sich im Juni in Afghanistan über die politische, wirtschaftliche und soziale Situation.

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