Keine Zauberformel

Zahlen erheben allein reicht nicht "Gender Budgeting" klingt gut- doch das Konzept bleibt vielfach inhaltsleer

Die Erwartungen, die Feministinnen weltweit mit dem Gender Budgeting verbinden, sind hoch. Keine neue Form der Frauenförderung soll es werden, sondern in und durch die öffentlichen Ausgaben Geschlechtergerechtigkeit herstellen. Das ist das Ziel. Aber was bedeutet es?
Bislang haben sich feministische Ökonominnen vor allem mit der Analyse einzelner Budgets für meist eng umrissene Projekte beschäftigt. Öffentliche Beschäftigungsprogramme, Alphabetisierungskampagnen oder die Landreform in Südafrika wurden daraufhin analysiert, inwieweit die eingesetzten Mittel Männern und Frauen (aber auch: Armen und Reichen, Weißen und Schwarzen) zugute kamen. Es ging also in erster Linie um Verteilungsgerechtigkeit - genauer darum, bestehende Ungerechtigkeiten in der Verteilung öffentlicher Mittel aufzudecken und damit die Lücke zwischen offiziellen Verlautbarungen und praktischer Haushaltspolitik sichtbar zu machen.
So positiv es ist, dass nun auch in Berlin eine entsprechende Initiative zum Gender Budgeting gestartet wurde - konkrete Veränderungen sind damit noch nicht beschlossen. Denn auch das zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern: Gender-Analysen sind zwar eine notwendige, aber längst keine hinreichende Bedingung für einen Politikwechsel. Ob die erhobenen Erkenntnisse tatsächlich umgesetzt werden, ist eine Frage des politischen Willens und des Drucks, der von außen auf die Regierungen ausgeübt wird.
Das gilt um so mehr, als der Anspruch, den die Berliner Initiatorinnen formulieren, ungleich höher ist. Nicht nur einzelne Projekte, sondern der Haushalt in seiner Gesamtheit soll künftig geschlechtergerecht ausgerichtet werden. Soll das Ganze nicht folgenlos verpuffen, ist darum jetzt vor allem zweierlei nötig: Zum einen müssen die partizipatorischen Vorgaben der Initiatorinnen ernst genommen werden - in einer Stadt, die von haushaltspolitischen ExpertInnen bis an den Rand des Boykotts geführt wurde, bieten öffentliche BürgerInnen-Anhörungen zu haushaltspolitischen Fragen die einzige Chance zum längst überfälligen Neuanfang. Dafür, dass dies auch angesichts leerer Kassen funktionieren kann, ist das brasilianische Porto Alegre ein eindrucksvolles Beispiel: Seit 1989 entscheiden dort die Bürgerinnen und Bürger darüber, welche Prioritäten bei den öffentlichen Ausgaben gesetzt werden.
Zum anderen muss nun öffentlich über die Ziele gestritten werden - auch unter Feministinnen. Wie soll sie aussehen, die viel beschworene Geschlechtergerechtigkeit? Geht es um Gleichheit oder soll Politik die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen ernst nehmen - auch dort, wo sie mit traditionellen Rollenbildern einhergehen? Konkret: Was bedeutet es für eine fortschrittliche Familienpolitik, wenn über 60 Prozent der Männer und Frauen laut Umfragen finden, dass Kinder unter drei Jahren am besten zu Hause betreut werden? Soll man die lassen? Unterstützen? Umerziehen, damit sie ihre Kinder, in die Krippe geben? Und wann ist eine Arbeitsmarktpolitik geschlechtergerecht? Wenn genauso viele Frauen wie Männer in Lohn und Brot stehen? Oder wenn sie auch das Gleiche verdienen?
Geschlechterspezifische Datenerhebungen - auch von Feministinnen derzeit gerne als Stein der Weisen gepriesen - sind dafür kein Ersatz. Schließlich gilt auch für das Gender Budgeting: Genauere Zahlen allein machen noch keine bessere Politik.

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