"Setze dich an die Biegung des Flusses und warte, bis die Leiche deines Feindes vorübertreibt" heißt ein altes vietnamesisches Sprichwort. Genau das können die Gegner der öffentlich-rechtlichen ARD jetzt tun. Denn die ARD demontiert sich in einem Ausmaß selbst, wie sich das ihre schärfsten Kritiker nicht haben vorstellen können. Und offensichtlich handelt es sich dabei um eine Führungskrise. Den Ansehens- und Glaubwürdigkeitsverlust, den das Führungspersonal angerichtet hat, können noch so viele gute Reporter und Journalisten nicht wettmachen.
Im Zentrum der Krise steht die Affäre Jan Ullrich. Es hatte sich herausgestellt, dass die ARD dem Radprofi über die Jahre hinweg, seit 1999, etwa 1,3 Millionen Euro sogenanntes "Mitwirke
"Mitwirkendenhonorar" bezahlt hatte. Er wurde dafür honoriert, Interviews zu geben, für Homestories seine Haustür zu öffnen und in der einen oder anderen Sendung aufzutreten. Auch sein Berater Rudy Pevenage, gleichfalls im Doping-Zwielicht, wurde auf diese Weise honoriert.In allen Leitlinien der ARD und der einzelnen Sender werden wortreich journalistische Unabhängigkeit und kritische Berichterstattung beschworen - diese Praktiken sind höchstens die Karikatur von Journalismus, fast kabarettreif. Ein öffentlich-rechtlicher Sender zahlt für Interviews - öffentlich-rechtlicher Scheckbuchjournalismus? Er zahlt doppelt, weil die ARD auch noch als Sponsor des Telekom-Teams auftrat - auch nicht grade öffentlich-rechtliche Aufgabe. Interviewer und Interviewter beziehen ihr Geld vom gleichen Arbeitgeber - anderswo würde man das Mauschelei nennen. Und das ging über Jahre. Selbst als Jan Ullrich unter Dopingverdacht geriet, wurden die Verträge nur kurzzeitig storniert und nach einer Schamfrist erneuert, nunmehr leistungsbezogen und höher dotiert als zuvor.Diese Verträge maßgeblich mit ausgearbeitet hat der ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf. Er ist Ullrich auch sonst eng verbunden. Einige Bücher hat er als Co-Autor für ihn verfasst, die Ullrich-Biografie geschrieben und für die Telekom, den Ullrich-Arbeitgeber, fleißig moderiert.Das alles jedenfalls haben in den letzten Wochen die Kollegen von den Printmedien zusammengetragen. Sähe man nur ARD, man wüsste kaum etwas. In eigenen Angelegenheiten haben die Sender einen blinden Fleck, groß wie das Ozonloch. Und die Reaktionen? Irgendwie peinlich. Wer hat die Verträge unterschrieben? Welche Verträge? Die Intendanten der ARD hatten sie angeblich alle nicht gelesen. Verabschiedet schon, aber zuvor eben nicht gelesen. Als alles rauskam, nahm ARD-Programmdirektor Günter Struve alle Schuld auf sich. Aber gelesen hatte er die Verträge auch nicht. Und nannte sie jetzt auf einmal eine "Schnapsidee".Man möchte es eigentlich gar nicht glauben. Jedes Unternehmen in dieser Republik, dessen Führungspersonal sich solche Fehlleistungen erlaubt, würde Konsequenzen ziehen. Die schneidigen Kommentare in den Tagesthemen kann man sich leicht dazudenken. Und welche Konsequenzen zog die ARD auf der Intendantentagung vergangene Woche? Hagen Boßdorf, auch wegen seiner Stasi-Vergangenheit in der Kritik und derzeit noch in einen Arbeitsprozess mit dem NDR verwickelt, bekam den Vertrag als Sportkoordinator bis 2012 verlängert. Günter Struve, auch schon im Rentenalter, durfte sich über eine Vertragsverlängerung bis 2008 freuen. Fritz Raff hat als Intendant des Saarländischen Rundfunks, in dem die Ulrich-Verträge maßgeblich ausgearbeitet wurden, selbige Verträge natürlich selbst auch nicht gelesen - übernimmt aber jetzt turnusmäßig den ARD-Vorsitz und steht auch als Kandidat für die Pleitgen-Nachfolge im WDR im Gespräch.Also keine personellen Konsequenzen. Verlängert wurden die Verträge von Hagen Boßdorf und Günter Struve mit einem bemerkenswerten Argument der ARD-Intendanten, wie Fritz Pleitgen berichtet: Die beiden seien zwar auch, aber nicht allein schuld an dem Schlamassel. Wer noch? Hätten die Intendanten etwa sich selbst entlassen sollen? Oder sich zumindest wechselseitig eine arbeitsrechtliche relevante Abmahnung zustellen sollen wegen unterlassener Führungstätigkeit, unterbliebener Vertragslektüre und Imagebeschädigung der eigenen Firma?Wäre ja noch schöner. Nein, so einfach ist die ARD nicht aus der Ruhe zu bringen. Ihr Führungspersonal, das ein hochsensibles öffentlich-rechtliches System durch schwierige Zeiten führen soll, regiert es wie einen mittelständischen Familienbetrieb mit starrsinnigen Seniorchefs, die das bisschen Skandal schon aussitzen. ARD muss man künftig auch buchstabieren als: System organisierter Verantwortungslosigkeit. Immer sind die anderen schuld und am Ende ist es keiner. Oder höchstens ein bisschen.Gewiss, einige Konsequenzen haben die Intendanten auf ihrer Tagung in Schwerin auch gezogen. Sportlerverträge wie die mit Jan Ulrich soll es künftig nicht mehr geben. Eine Clearing-Stelle beim WDR wird eingerichtet, die "Mitwirkendenverträge" prüfen soll. Künftig sollen auch die Justitiare der Sender entsprechende Verträge gegenlesen - warum eigentlich bisher nicht?Es mangelt in der ARD erheblich an Transparenz. Mehr Kontrolle zusätzlich zu den hehren Leitbildern wird wohl etabliert werden müssen. Schon allein um zu verhindern, dass der Senderverbund von oben her noch weiter demontiert wird.