Keiner kannte ihn

Kino Regisseur Adam McKay erzählt vom großen Enigma im Zentrum der US-Weltherrschaft: Ex-Vize Dick Cheney
Ausgabe 08/2019

Die Versuchung muss groß gewesen sein, diesen Film „Dick“ zu nennen. Er erzählt aus dem Leben eines Saufkopfs und Donut-Fressers, der zum mächtigsten Strippenzieher der Weltpolitik wurde, ohne dass es jemand mitbekommen hätte (abgesehen von seiner Ehefrau und Donald Rumsfeld). Er eroberte den Irak für US-Konzerne, erfand nebenbei den sogenannten Islamischen Staat und schuf die Grundlagen dafür, dass die USA heute via Fox News regiert werden. Trotzdem kennt den Mann kein Schwein.

Adam McKay will das nun ändern. Der Anchorman-Regisseur hat ein Anti-Biopic über Dick Cheney gedreht. Es heißt nicht „Dick“, sondern Vice, da der 1941 in Nebraska geborene Cheney von 2001 bis 2009 neben George W. Bush amerikanischer Vizepräsident war. Das bis dahin als Abstellgleis für Möchtegern-Präsidentschaftsanwärter bekannte Amt definierte Cheney neu: als das des wahren, dabei fast unsichtbaren Puppet-Masters, Kriegstreibers, Folter-Befürworters und Selbstbereicherers.

McKay bietet Cheney in Vice nicht zum Nachempfinden an, er will ihn analytisch-biografisch in die Tonne treten. Das mit der Tonne klappt wunderbar, das mit der Analyse etwas weniger. Er habe verdammt noch mal alles gegeben, um zu verstehen und zu zeigen, wie Cheney tickt, liest man zu Beginn des Films. Allerdings habe man es mit einer der geheimniskrämerischsten Figuren der jüngeren Geschichte zu tun. Und so bleibt der Vize bei aller Faktenfülle durchaus enigmatisch, ein Vakuum im Zentrum des Geschehens, dem Christian Bale seinen Körper und rund zwanzig Prozent seiner Schauspielkunst leiht. Bale brilliert nämlich gerade durch rekordverdächtigen Nichteinsatz. Zugegeben, er musste sich einiges an Körpermasse anfressen. Sein Kopf und sein Bauch bekommen im Verlauf der Handlung etwas zunehmend Luftballoniges, den Rest besorgen die Maske und die Trägheit der Masse. Cheneys am Ende nur mehr zu einem leisen Brummen kondensierte Ein-Satz-Befehle kommen von ganz unten. In seiner Dankesrede bei der Verleihung des Golden Globe für die beste männliche Hauptrolle bedankte sich Bale für die Inspiration bei Satan.

Zentrale Inspiration für Adam McKay war Dick Cheneys größtes Hobby (abgesehen von der Weltherrschaft): das Angeln. McKay zeigt Cheney als jemanden, der nicht genau weiß, was er fischen will. Der aber sicherstellt, dass er alle Mittel zur Verfügung hat, um irgendwann einen richtig dicken Fisch an Land zu ziehen. Seine größte Gabe ist die Geduld, verbunden mit dem Instinkt, im entscheidenden Moment zuzupacken. Cheney war Assistent von Donald Rumsfeld unter Präsident Richard Nixon, Stabschef unter Gerald Ford, Verteidigungsminister unter Bush senior, Vizepräsident von Bush junior. Dazwischen bekleidete er Führungspositionen in der Privatwirtschaft, namentlich im Ölsektor, und erlitt fünf Herzinfarkte. Cheneys große Chance kommt nach dem 11. September 2001. Und McKays Kulminationspunkt ist folglich die US-Invasion im Irak 2003, mit der der Film – zuspitzend und vereinfachend – auch das Aufkommen des IS erklärt.

Arroganz ist unterhaltsam

Vice beginnt mit Medienkritik. Tenor: Im zunehmend verschärften Erwerbsalltag hat niemand Bock, sich mit den Ursachen für genau diese Alltagsmisere auseinanderzusetzen. Lieber konsumiert man Selfie-Streams und Popcornkino. McKay illustriert das mit durchdrehenden Rave-Mädchen und dem Fratzengulasch ihrer euphorisch entgleisten Mimik. Am Ende schickt er das Publikum mit einem Rausschmeißer-Gag mitten im Abspann nach Hause, in dem er sich über Fans der Fast-&-Furious-Filmreihe lustig macht. Für diese Herablassung wurde er scharf kritisiert. Dabei ist McKays Angebot gerade die Vermittlung zwischen dem medialen Müll und seinen Ursachen: Aufklärung als Unterhaltung.

Vom Komödienfach hat sich McKay auf bissige zeithistorische Kommentare verlegt, schreiend komisch erzählt, mit viel Freude an assoziativem Bilder-Zapping und dem Spiel mit manipulativen Mitteln. Das letzte Mal, in The Big Short, ausgehend von der Wall Street und dem Crash 2008, diesmal vom Weißen Haus – beide Male mit bitterbösen Konsequenzen für die ganze Welt. Filmisch geht das Programm der Erleuchtungskomödie wieder wunderbar auf. Vice ist als Politsatire getarntes Edutainment, Volksaufklärung mit Berserkerkeule. Der Verweis oder Vorwurf, man hätte es mit Michael-Moore-Methoden zu tun, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Ob die Rechnung in den USA aufgeht, ist fraglich. Die Kritik reflektiert in ihrer radikalen Gespaltenheit die politischen Verhältnisse: Das Einspielergebnis liegt in den ersten Wochen etwas über den Erwartungen, auf der Aggregatorenseite rottentomatoes.com erhält der Film bei nur 56 Prozent des Publikums Zuspruch. Großes Echo gibt es aber im liberalen Establishment. Dieses Wochenende könnte Vice acht Oscars gewinnen, darunter für den besten Film, die beste Regie und die neben Bale ebenfalls famosen Leistungen von Amy Adams als Lynne Cheney und Sam Rockwell als George W. Bush.

In Deutschland hat McKay, mit oder ohne Oscar, ohnehin bessere Karten. Sein Film bedient ziemlich genau das, was vor einigen Wochen als das Relotius-Syndrom bekannt wurde: die Freude des BRD-Bürgertums an der Bestätigung antiimperialistischer Ressentiments. Der entscheidende Unterschied an Vice ist, dass sie diesmal mit einer Fülle harter Fakten unterfüttert werden. Und direkt aus dem Herzen der amerikanischen Macht kommen.

Info

Vice. Der zweite Mann Adam McKay USA 2018, 132 Minuten

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