THEMENWOCHENENDE ZUR "ZUKUNFT DER NICHTARBEIT" Andrea Koschwitz, Dramaturgin der Volksbühne, über die Antastbarkeit menschlicher Würde bei der Armuts- und Arbeitsdebatte sowie über das
FREITAG: Mit welcher Motivation bereiten Sie das Themenwochenende "Recht auf Faulheit - Zukunft der Nichtarbeit" vor?
ANDREA KOSCHWITZ: Wir haben an unserem Theater über die Zukunft von Arbeit in der globalen Gesellschaft schon sehr früh nachgedacht und das in verschiedenen Inszenierungen bearbeitet, aber wir haben auch gespürt: das reicht nicht. Es gibt in der Arbeit am Theater Punkte, an denen das Theater über die pure Inszenierung hinaus muss und bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge ganz anders und genauer beschrieben werden müssen. In diesen Fällen veranstalten wir - mit Betroffenen, selbstorganisierten Gruppen, Wissenschaftlern - Themenwochenenden, bei denen zumeist eine Inszenierung im Zentrum steht.
Diesmal "Hauptmanns Weber" von Frank Castorf -
Weber" von Frank Castorf - wo liegen da die Bezüge zur Frage der Nichtarbeit?Es ist wie eine Ahnung! Man ist an einem Thema dran - und dann kulminiert es! Dass sich die Würde eines Menschen an der Lohnarbeit festmachen soll, ist doch wirklich ein Problem dieser Gesellschaft. Für mich ist die Würde des Menschen unantastbar - und das sehe ich im Augenblick nicht. In den Webern zeigt Frank Castorf, dass die Würde des Menschen heute - und das ist wirklich das grandiose Moment - in der Arbeits- und Armutsdebatte so auf den Hund gekommen ist, wie das noch nie der Fall war. Und das, obwohl die Gesellschaft so reich ist! Sicher, jetzt sucht man Perspektiven, macht Angebote für die Menschen, die aus dem Raster fallen. Und da ist es für mich tatsächlich eine Frage, inwieweit Kunst interessant sein kann? Man ist ja selbst in einem Konflikt, am Theater ist man ja auch in einem Lohnverhältnis - aber dann gibt es eben die Momente, wo man mit Phantasie und ein bisschen Pappe, oder mit einer alten Webmaschine, die man auf die Bühne stellt, großartiges Theater machen kann. Und plötzlich entstehen sinnliche Erlebnisse, wie sonst nur noch beim Sonnenuntergang. Und in diesem Sinn finde ich schon, dass die Möglichkeiten von Kunst-Arbeit, sich mit Kunst einen Lebensinhalt zu geben, gesellschaftlich interessant sind. Wir haben ja Arbeitsloseninitiativen eingeladen, sich mit den Mitteln der Kunst zu äußern! - Aber es ist die Frage, inwieweit jeder Mensch fähig ist, kreativ zu sein.Oder auch, inwieweit das als Protest wirksam wird?Ohne Geld - und also ohne Lohnarbeit - hast du in dieser Gesellschaft keinen Lebensraum. Einerseits gibt es immer weniger Arbeit für immer hochqualifiziertere Menschen, andererseits fällt dadurch eine immer größere Schicht durch das Raster: Wenn man sich jetzt den Armutsbericht anschaut - ein Drittel, oder mehr, ist wirklich arm. Und um diese Leute, die nicht mithalten können, geht es, die hat Hauptmann schon damals in seinen Webern beschrieben, die werden jetzt immer stärker durch die Politik stigmatisiert als "Langzeitarbeitslose", die nicht arbeiten wollen.Kreativität - in Verbindung mit Armut, aber als neue Formen von Tätigkeit bis hin dazu, dass Kunst sich gesellschaftlich neu platziert - würden Sie dem eine Chance geben?Ich sehe da Möglichkeiten! Es gibt seit den Siebzigern im alternativen Bereich viele Versuche, mit Kunst soziale Arbeit zu machen. Ich sehe aber auch die Gegentendenzen, dass Kunst immer mehr vermarktet wird, dass kreative Prozesse nur noch zum Geldverdienen taugen - dass eine neue Generation von Künstlern heranwächst, die dieses sozialpolitische Engagement eines Frank Castorf oder der Volksbühne nicht mehr haben, die pure Nabelschau betreiben und sich nur noch darum kümmern, inwieweit sie selbst vorkommen, oder ihre Produkte sich vermarkten lassen - also, die sich raushalten.Volksbühne und Eventkultur, diese Tendenz besteht nicht?Keinesfalls! Wir setzen gegen diese Eventkultur ganz bewusst Zeichen, und das machen wir auch so weiter - Castorf mit seinen Inszenierungen und wir im Bereich der Dramaturgie. Und das hat für mich auch entscheidend mit der Richtung zu tun, in die dieses Themenwochenende zur Arbeit - oder Nichtarbeit - gehen muss. Es muss deutlich werden, dass in dieser Gesellschaft die Wege der Politik und der Gewerkschaft in eine absolute Sackgasse führen, und die Würde des Menschen - für mich - zutiefst verletzen. Das merken nicht die, die noch einen Job haben, die merken nur, dass immer weniger immer mehr arbeiten müssen - was für mich auch würdelos ist! Keine menschlichen Beziehungen mehr aufnehmen zu können, asozial zu leben, keine Zeit für Freundschaften oder für andere Begegnungen mehr zu haben, als für die in der Arbeit, auch das ist würdelos.In jedem Fall müssten sie Zeit für den Begegnungsort Volksbühne haben! Theater ist für mich deshalb von keinem anderen Medium zu überholen, weil in seinem Zentrum die Aktion und das gesprochene Wort stehen!Es ist der uralte Versammlungsraum, um über Sachen zu debattieren. Was wir jetzt an unserem Themenwochenende machen werden, das war in der Antike gang und gäbe, da haben sich die Leute getroffen, um wirklich über ein hartes, gesellschaftliches Thema zu debattieren. Der Zuschauerraum der Volksbühne steigt nicht umsonst wie ein antikes Theater hoch auf, unsere Themenwochenenden sind uralte Theatertraditionen. Und ich kann wirklich nur hoffen, dass sie kommen, um sich das anzuhören, unsere Politiker. Ich kann sie wirklich nur sehr einladen, das würde mich sehr freuen!Das Gespräch führte Gerburg Treusch-Dieter
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