Wenn Linke zusammenkommen, spielen sie oft ein eigenartiges Spiel. Es heißt „Wer ist der Bessere?“ und besteht darin, herauszustellen, um wie viel konsequenter und authentischer man links ist als der Rest. Gewonnen hat, wer am schnellsten alle anderen nervt.
Christian Baron hat dieses Spiel oft verloren. Sein Buch Proleten, Pöbel, Parasiten will der Frage nachgehen, „warum die Linken die Arbeiter verachten“. Baron ist selbst ein Arbeiterkind, aufgewachsen in Kaiserslautern, der Vater alkoholkranker Möbelpacker, die Mutter früh an Krebs erkrankt und verstorben. Er wächst mit drei Geschwistern bei der Tante auf, und ihr (sowie einigen engagierten Lehrerinnen) verdankt er seinen Aufstieg, der ihn über Abitur und Studium zum Feuilletonisten
um Feuilletonisten im Neuen Deutschland machte. Seinesgleichen ist Baron während dieses Aufstiegs selten begegnet; stattdessen nimmt er überall nur Bürgerkinder wahr, die über ihren Befindlichkeiten vergessen zu haben scheinen, dass – sagt Baron – noch immer der Klassenkampf tobt.Immer diese BessermenschenProleten, Pöbel, Parasiten hätte ein gutes Buch werden können, wenn Baron sich darauf beschränkt hätte, die Geschichte eines Arbeiterkinds zu schreiben, das es unter Akademiker verschlägt. Aber er wollte mehr, er wollte mit steilen Thesen den Diskurs aufbrechen. Da folgt er dem von ihm gelobten Didier Eribon, wählt aber einen grobschlächtigeren Stil. Wo Eribon in seiner Rückkehr nach Reims mit dem Skalpell seziert, nimmt Baron die Kettensäge. Es ist das Buch eines Journalisten geworden, der seine Genervtheit nicht verbergen will und deswegen glaubt, sein polternder, apodiktischer Tonfall sei unumgänglich.Und so schimpft Baron auf vegane WG-Bewohnerinnen, weil sie ihn tadelnd ansehen, wenn er seine Salami-Fertigpizza in ihren Backofen schiebt; schimpft auf den neuen Feminismus, auf „politische Korrektheit“ und „Bessermenschen“. Er schimpft auf das grün-alternative Milieu, linksliberale Medien, das Theater und die Literatur, die die Lebenswirklichkeit der Unterschicht nicht zum Thema machten. Auf fast jeder Seite macht er ein neues Thema auf – ohne seine Begriffe zu erklären oder wenigstens seine Gegner klar zu adressieren; das wäre für ihn schließlich das Aussprechen von „‚Wahrheiten‘ mit stilistisch angezogener Handbremse und penibler Begriffsstrenge“, wie er im Vorwort schreibt. Sein Verständnis und seine Sympathie für die Belange der Klasse, der er entstammt, ersetzt dieses Manko nicht. Stattdessen führt es dazu, dass er sich von Thema zu Thema mompert, ohne dass nachvollziehbar wird, warum er hier das eine für richtig hält und an anderer Stelle das glatte Gegenteil.So wird bei Baron Richard David Precht zu einem Vorbild für den linken Wissenschaftsbetrieb, weil dieser ein Massenpublikum erreiche. Kritik an Precht sei sublimierter Neid, ihn zum „neoliberalen Büttel des Kapitals“ zu erklären, nur weil er Erfolg habe, Ausdruck des Karrierestrebens und der Volksfremdheit linker Akademiker. Kein Wort zum eigentlichen Vorwurf, den die Rezensenten ihm machen: dass Precht nämlich inkohärenten Unsinn schreibt.Seitenlang wettert Baron gegen den Kulturalismus bestimmter Linker, um sich dann plötzlich für Menottis „linken Fußball“ starkzumachen, weil der schön anzusehen sei und weniger erfolgsversessen als der deutsche Panzerfußball. Kein Wort darüber, dass Menotti mit diesem linken Fußball 1978 den Titel gewann; kein Wort darüber, dass mutmaßlich Gegner bestochen wurden; vor allem kein Wort darüber, dass dieser linke Fußball der Militärjunta Prestige in aller Welt verschaffte. Die Schreie der jubelnden Stadienbesucher sollen in den Folterkellern zu hören gewesen sein. Berti Vogts bemerkte dazu lapidar: „Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Das wäre ein Ansatz gewesen, um über den sogenannten linken Fußball zu sprechen; stattdessen nimmt Baron Menotti als Beweis für die Fortschrittlichkeit der Löw’schen Nationalmannschaft. Die spielt schließlich auch schön.Die postmoderne Subkultur taugt Baron nicht, denn sie will seiner Meinung nach immerzu Opfer sein und „jeden unbekannten Menschen ohne Rücksicht auf einfachste Höflichkeitsgesten als Rassist, Sexist, Heteronormativist und/oder Speziesist“ beschimpfen. Sie reklamiere, schimpft nun wiederum Baron, „im Dschungel der identitätspolitischen Verbotsorgien das sprachpolitische Gewaltmonopol für sich“.Trauer um den „Mohrenkopf“So darf er etwa nicht mehr „Mohrenköpfe“ sagen. Stattdessen sagt er „M-Köpfe“. Aber man müsse die Leute Mohrenkopf sagen lassen, sonst stehle man ihnen ihre glücklichen Kindheitserinnerungen, lautet Barons Argumentation. Nun hat er aber direkt zuvor eine glückliche Kindheitserinnerung geschildert, obwohl er jenes Wort nicht mehr sagen darf. Und andererseits ist mir niemand bekannt, der Leute einsperren lassen will, weil sie privat das Wort „Mohrenkopf“ verwenden.Das ist ein Trick, den Baron gern anwendet: Er nennt seine Gegner nicht, er fantasiert sie eher. Und er greift auf Anekdoten wie diese zurück: In der U-Bahn liest er (aus beruflichen Gründen) das Buch des früheren Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky, als ihn eine taz-Leserin (ein „Bessermensch“) anspricht und ihm derbe mitteilt, dass er da gerade rassistischen Müll liest. Gut, dass sich jemand mal politisch äußert, könnte man meinen, aber Baron fühlt sich unverstanden, nunmehr selbst als Opfer einer „Lust am aggressiven Ausleben irrer Vorurteile“, und unterstellt der Frau, dass sie sich für moralisch unanfechtbar halte (tut sie das?). Jemandem, der den rauen Ton der Arbeiterkneipen schätzt, könnte man angesichts ein wenig U-Bahn-Keiferei mehr Souveränität zutrauenAm Ende geht es Baron nicht so sehr darum, die Klasse, der er entstammt, zu beschreiben. Er skizziert vielmehr ein Feindbild: die Bürgerkinder, die in der Universität zur Postmoderne verführt werden, an althergebrachten Kategorien wie Rasse und Geschlecht zweifeln, Veganer werden, kiffen und sich, wenn’s finanziell eng wird, beim Heimatbesuch von den Eltern 100 Euro zustecken lassen. Später werden sie Medienleute oder irgendwas mit Wissenschaft und ignorieren die Arbeiter. Ihr Linkssein ergibt sich, laut Baron, aus einer „ethisch-moralischen Empörung“ – ganz im Gegensatz zu seinem, das „biografisch bedingt und damit interessengeleitet“ sei.„Gerne wenden die Aktivisten ihre vermeintliche Betroffenheit an, um ihre Sichtweise um jeden Preis durchzusetzen“, schreibt Christian Baron, ohne zu merken, dass das eine Selbstentzauberungsformel ist. Auch er spielt jenes Spiel der Linken und hat mit diesem Buch ein echtes Pfund in dieser Disziplin vorgelegt.Placeholder infobox-1Placeholder link-1
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