Kinder, Kinder

Bühne Der Dramatiker David Chotjewitz inszeniert in seinem Stück der „Narziss und die Revolution“ Fragmente aus seiner eigenen Kindheit. Unverständnis ist dabei die Intention

Wie ein Fisch im Wasser bewegt sich Silvana Suarez Cedeño in dem Performance-Teil Erinnerungen: Mit einem Regenmantel bekleidet rollt sie sich in einer Wasserpfütze auf Plastikfolie, windet und wälzt sich, wütet – ein Kampf auf Leben und Tod, wie es scheint.

Nach 23 Minuten klingelt eine Glocke, ein Gong schlägt, eine Tröte quietscht – nächste Runde, nächster Ort, wieder 23 Minuten: ein Schulzimmer mit Namen „Aquarium“ oder „Kino“, das Hausmeisterhaus oder ein Kellergewölbe in dem Spielort HafenCity-Universität (HCU) Hamburg. Hier inszeniert der Autor und Dramatiker David Chotjewitz Narziss und die Revolution, ein autobiografisches, für Kampnagel erarbeitetes Stück, besser: acht Fragmente aus seiner Kindheit (von denen der Zuschauer maximal vier an einem Abend schafft), parallel interpretiert von dem Wissenschaftler Fahim Amir, dem Musiker Ted Gaier, Joachim Kappl, Katharina Oberlik, Henna Peschel, Silvana Suarez, Georg Sheljasov, Judith Tellado und Chotjewitz selbst.

Kindheitserlebnisse

Was macht eine Kindheit so interessant, dass man sie sich im Theater ansehen sollte? Davids Vater war der Autor und Jurist Peter O. Chotjewitz, einer der frühen Bohemiens der Bundesrepublik. Von 1967 bis 1973 lebte die Familie in Italien, in der Villa Massimo in Rom. Künstler, RAF-Mitglieder und kubanische Revolutionäre gingen ein und aus. David Chotjewitz wuchs mit seinem Bruder zwischen Ingeborg Bachmann und Rolf-Dieter Brinkmann, Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf.

Klingt interessant. Gleichzeitig ist die RAF ein Thema, das seit Jahren umfassend in Film, Funk und Fernsehen bearbeitet wird. Die Leute springen drauf an, sagt Chotjewitz. Das gilt hier für Ted Gaier von den Goldenen Zitronen: Das Erbe mit den Fäusten ausschlagen erzählt mit Filmausschnitten und Tondokumenten vom Deutschen Herbst, von Ensslin und Baader, Mahler und Schily.

Was das mit der Kindheit Chotjewitz’ zu tun hat? „Das Stück, die Summe der Teile, ist eine emotionale Entwicklung, kein Beitrag zur Zeitgeschichte – aber trotzdem lasse ich sie darum nicht einfach weg“, rechtfertigt sich der Autor.

Keine Zeitgeschichte

Im weißen Abendanzug performt er selbst im „Kino“ das Fragment Zurück in Rom mit italienischer Musik aus den sechziger Jahren. „Meine Hinwendung zum italienischen Schlager war kein Aufbegehren gegen meine Eltern – ich mag diese konfliktfreie Musik. Wobei, die Schlager, speziell der schnulzige Massimo Ranieri, schon eine Art Opposition waren, und später so üble Sachen wie Cindy und Bert.“

Irgendwann wurden David und sein Bruder zu Bauern in die Abruzzen, später in eine hessische Landkommune geschickt – Kinder der Revolution, zwei Kurzfilme von Henna Peschel erwecken das Kind zum Leben. Im Gespräch mit dem Fotografen Gunter Rambow, der in jener Kommune lebte, entsteht plötzlich ein persönlicher Bezug zum Autor. „Im Theater stellt sich immer die Frage: Mach ich das Stück fürs Publikum oder für mich? Ich mache es für Freunde, Freunde von Freunden, eine Art Familie, die in der Vorstellung entstehen kann.“

Es ist ein spannendes Konzept, die eigene Kindheit wie in Narziss und die Revolution von fremden Künstlern inszenieren zu lassen. Manches erklärt sich dadurch gar nicht oder erst zwei Inszenierungen später. Im ohne Punkt und Komma gesprochenen Beitrag von Fahim Amir etwa: Der Fisch aus der Tanzperformance war kein Fisch, sondern eine kleine Katze, die David ertränken sollte (und ertränkt hat). Ein anonymer Raum entsteht nicht, zwischen den Episoden begegnet sich das Publikum als Besucherfamilie immer wieder, tauscht sich aus. Alles zu verstehen, bleibt intendierte Unmöglichkeit der biografischen Splitter. So ist das Leben, man muss wählen, bewusst verpassen, sagt David Chotjewitz.

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