Kino als Sprache der Liebe

Nachruf Er wollte die Sätze seiner Figuren zum Leuchten bringen: Zum Tod von Eric Rohmer (1920-2010)

Zusammen mit François Truffaut, Jean-Luc Godard und Jacques Rivette bildete Eric Rohmer den Kern der Nouvelle Vague. Er galt als der Intellektuelle unter ihnen, war mit André Bazin für die filmtheoretischen Texte in den Cahiers du Cinéma zuständig, jener legendären Filmzeitschrift.

Aufsehen erregten Rohmer und die anderen nicht zuletzt dadurch, dass sie Hollywoodregisseure zu auteurs erklärten. Ihr größtes Idol war Alfred Hitchcock; gemeinsam mit Claude Chabrol brachte Eric Rohmer 1957 das erste Buch über den britischen Filmemacher heraus. Wie bei fast allen Regisseuren der Nouvelle Vague ist jedoch auch bei Rohmer ein genauer Blick, ein konzentriertes Hinhören vonnöten, um zu erkennen, auf welche Weise die Verehrung für Hitchcock sich in den eigenen Filmen niederschlägt.

Auf den ersten Blick können Rohmers Filme langsam, langweilig, dialoglastig und visuell arm daherkommen. Einem Genre sind sie nicht zuzuordnen, es sei denn dem Liebesfilm, denn um die Liebe dreht sich alles. Auf den zweiten Blick bietet sich die Chance, im Dialog die Spannung, im Minimalismus der Bildkomposition die visuelle Präzision zu entdecken.

Moralische Geschichten

Rohmers erster abendfüllender Spielfilm Im Zeichen des Löwen wies diese Handschrift noch nicht auf; er entsprach eher den Erstlingswerken seiner Freunde, die Ende der 1950er in Cannes Furore machten. Es geht um einen Amerikaner in Paris, doch anders als in Vincente Minnellis berühmtem Film von 1951 bekommen wir die Stadt der Liebe nicht in Technicolor, sondern in dokumentaristischem Schwarzweiß präsentiert – und der Amerikaner, ein unsympathischer Trampel, geht in dieser Stadt fast vor die Hunde.

Der besonderer Stil von Rohmer bildete sich Anfang der 1960er Jahre mit einer Reihe von Kurzfilmen heraus, die jene eigentümlich serielle Form des Filmzyklus ins Leben riefen, mit der der Filmemacher später bis auf wenige Unterbrechungen sein Werk locker strukturierte. Sein zweiter abendfüllender Film Die Sammlerin war 1967 der dritte von sechs „moralischen Geschichten“. In diesen Geschichten geht es, wie in den späteren Zyklen Komödien und Sprichwörter und Erzählungen aus vier Jahreszeiten vor allem um die Liebe.

Von neuen Genderparadigmen, die 1968 aufkamen, wollte Rohmer nichts wissen. Immer wieder sind es Mann und Frau, die sich in lange, oft intellektuelle Diskussionen über ihre Gefühle verstricken (wie in Die Sammlerin; Meine Nacht mit Maude, 1969), alles ausprobieren, was so geht, um am Ende vielleicht den Mann oder die Frau fürs Leben zu finden (Die Sammlerin; Pauline am Strand, 1983) oder sich alle Möglichkeiten offen halten mit dem Ergebnis, dass sie am Ende dann leider leer ausgehen (Die Sammlerin; Sommer, 1996). Die Zyklen Rohmers sind filmische Diskurse über die Liebe im Zeichen von Zufall und Schicksal.

In seinem Essay Für den sprechenden Film hatte Eric Rohmer bereits 1948 geschrieben: „Die Kunst des Regisseurs besteht nicht darin, uns vergessen zu lassen, was die Figuren sprechen, sondern im Gegenteil, ihre Sätze unvergesslich zu machen.“ Wie kaum einem anderen ist ihm das gelungen. Wer zur Sprache der Liebe Erfahrungen sammeln will, der findet in Rohmers Filmen geistige Nahrung. Gedreht hat er bis ins hohe Alter. Am 11. Januar ist Rohmer, geboren als Jean-Marie Scherer, im Alter von 89 Jahren gestorben.

Thomas Klein ist Mitherausgeber des Buches Nouvelle Vague im Mainzer Bender-Verlag

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