Dreimal legte der Iraner Bahman Ghobadi bereits Filme aus dem Grenzland zwischen Iran, Irak und der Türkei vor, dreimal heimste er dafür eine Fülle von internationalen Preisen ein. Dabei näherte er sich der kurdischen Region in unterschiedlichen Tonlagen: Mit schwermütiger Traurigkeit in dem zeitentrückten Sozialdrama Zeit der Trunkenen Pferde, mit wilder Energie in dem schrägen Roadmovie Verloren im Irak. Schildkröten können fliegen schließlich zeigt einen von Kriegswirren und Vertreibungen geprägten Alltag, in dem das Schreckliche und das Komische zusammen existieren. Eine Momentaufnahme aus 2003, kurz vor dem Anflug der ersten amerikanischen Bomber.
Den heimgesuchten Landstrich durchkreuzen dabei die Bewegungslinien verschiedenster G
wegungslinien verschiedenster Gruppierungen und Fraktionen: Händler, Flüchtlinge, Schmuggler, Warlords, Jugendbanden und UN-Mitarbeiter bilden eine einzige nervöse Gemengelage und künden von einer ungeheuren Unruhe vor dem Sturm. Wie in seinem Erstling stehen auch diesmal Kinder und Halbwüchsige im Zentrum des Geschehens: Ein Junge hält als Ersatzvater - und Aushilfsdespot - einen Trupp nomadisierender Waisenkinder zusammen. Diese fristen ihren Unterhalt mit dem Entschärfen von Tretminen, welche dann über Zwischenhändler an die Vereinten Nationen verkauft werden. Den Beinamen "Satellite" hat der Junge von seiner Fähigkeit, die Fernseher der nachrichtenhungrigen Dörfler auf CNN auszurichten - was den englisch-unkundigen indes wenig hilft.Formal beherzigt die erste irakische Filmproduktion der Post-Saddam-Ära die Tugenden des iranischen Arthouse-Kinos: eine knappe Erzählweise, eher elliptisch als ornamental, die Arbeit mit Laiendarstellern, die Ghobadi - wie in seinen Filmen zuvor - soweit führt, dass er sein Drehbuchkonzept zusammen mit den Dörflern entlang ihren Erfahrungen bearbeitete. Weniger noch als in seinen Vorgängerfilmen sind die erzählten Einzelschicksale als Handlungsstränge dramaturgisch miteinander verbunden. Den Kitt zwischen den Episoden liefern eine bisweilen plakative Melodramatik und die trockene, präzise Montage, mit der der frühere Kiarostami-Assistent laut und leise, hart und zart gegeneinander setzt.Dabei mag das Aufsehen, das der Film international erregt hat, diesmal weniger im Künstlerischen begründet liegen als vor allem im Politischen: darin, dass Ghobadi hier Realitäten aus einer journalistisch lange "eingebetteten" Region liefert.Mit Flucht, Vergewaltigung, Minendetonationen, einem Selbstmord, dem Schluss-Bombardement und viel Geschrei reicht dieser Realismus bis an die Grenze des Erträglichen, und lässt den Gedanken aufkommen, getragen von der ebenfalls dünnen Erzählung, dass ein Dokumentarfilm zum Thema vielleicht angemessener gewesen wäre.Ghobadi gebührt jedoch das Verdienst, als einer der Ersten überhaupt kurdische Lebenswelten einem internationalen Publikum nahe gebracht zu haben, weitgehend frei von Mitleidsperspektive und stereotyper Stilisierung. 1968 in Kurdistan geboren, verbrachte er seine Kindheit in dem Dorf Bane, zog zum Filmstudium nach Teheran und sammelte beim Fernsehen erste Erfahrungen. In mehreren Kurzfilmen konnte er seine eigene, unverwechselbare Ästhetik entwickeln, bis er sich schließlich mit dem mehrfach ausgezeichneten 28-Minüter Life in the Fog als außergewöhnliches Talent erwies. Seine filmische Neigung stand dabei immer im Dienst einer größeren Aufgabe: dem kurdischen Volk ein internationales Forum zu schaffen. So konnte er Abbas Kiarostami, den iranischen Regie-Großmeister überzeugen, seinen Film Der Wind wird uns tragen in Kurdistan zu drehen, und als Scout lotste er auch das Regiesternchen Samira Makhmalbaf durch das Bergland (beim Dreh von Schwarze Tafeln spielte er eine der Hauptrollen). Seit Zeit der trunkenen Pferde 2001 eine Oscarnominierung erhielt, zählt Ghobadi selber zu den Großen.Starthilfe erhielt er dabei - vielleicht etwas überraschend - vor allem aus dem Iran: Seit 1998 fördert die staatliche Filmproduktionsfirma Farabi gezielt das "ethnische" Filmschaffen in dem Vielvölkerstaat, der im Gegensatz zu Irak und Türkei nur einen gemäßigten Nationalismus pflegt. Neben Aserbaidschanern sind vor allem Kurden Nutznießer dieser Fördermaßnahmen, mit deren Hilfe Ghobadi Zeit der trunkenen Pferde realisieren konnte, der Film, der ihn zur Leitfigur eines neuen kurdischen Kinos machte.Im Irak fehlte eine Förderungssystem iranischer Machart, doch hat das neue Kultusministerium die Zeichen der Zeit erkannt, und im schon immer teilautonomen kurdischen Norden ein eigenes Kinodepartment eingerichtet. Wo bislang überwiegend Kurz- und Dokumentarfilme auf DV entstanden, mit mehr oder weniger improvisatorischem Charakter, werden inzwischen drei Langfilme jährlich produziert.Bei solch günstigen Bedingungen kehrt auch die Exil-Generation langsam zurück - Anwer Sindi (Before dawn) aus Dänemark etwa, oder Manu Khalil (in Vorbereitung: Gala) aus der Schweiz. Der bislang in Frankreich ansässige Hiner Saleem hat nach dem international erfolgreichen Wodka Lemon bereits eine weitere französisch-kurdische Koproduktion abgedreht. Und Ravin Asaf, dessen Yellow Days mit Unterstützung des Kultusministeriums gefertigt - aber in der Türkei zensiert - wurde, bereitet gerade einen Film über die von Saddams Giftgasangriffen traumatisierte (irakische) Stadt Halabche vor.Doch während die Produktion auf Hochtouren läuft, sieht es bei der Rezeption etwas verhaltener aus: Im Iran werden - mit der typischen landeseigenen Schizophrenie - kurdische Filme zwar gefördert, aber nicht immer auch gezeigt. Im Wiederaufbau-Land Irak wiederum steht es um die Kinolandschaft nicht besonders gut. Bis zur Erfüllung von Ghobadis heroischer Forderung, dass "neben jede Moschee ein Kino" gehört, ist es noch lange hin.Die kurdische Bevölkerung begeistert sich für ihr neues Kino, bietet es doch dem medial bislang wenig repräsentierten Volk die Möglichkeit, eigene Traditionen und Lebenswirklichkeiten auf der großen Leinwand zu sehen. Dementsprechend überschwänglich wird jeder neue Ghobadi-Film aufgenommen - wobei es dem Regisseur eine Pflicht ist, seine Filme an der Quelle seiner Inspiration zu zeigen. Auch Wodka Lemon und Before dawn waren in Kinos der Region zu sehen.Gerade scheint in der Region ein regelrechter Kino-Frühling ausgebrochen: überall entstehen Initiativen, werden Workshops abgehalten, und Produktionsfirmen gegründet. Um die internationale Einbindung zu verstärken, plant man im irakischen Arbil, wo bereits ein Kurzfilmfestival existiert, auch ein großes Filmfestival. Im türkischen Diyarbakir zeigte das seit vier Jahren existierende Kulturfestival jetzt erstmalig eine kurdische Filmreihe. Einzig im repressiven Syrien findet kurdisches Filmschaffen praktisch nicht statt.Für die Zukunft ist vom kurdischen Kino noch einiges zu erwarten. Bahman Ghobadi selber arbeitet an zwei neuen Filmen - unter anderem an einer von Österreich unterstützten Filmepisode über Mozart. Und Hiner Saleems neuer Film Kilométre Zéro läuft nächstens in Cannes im offiziellen Wettbewerb.
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