Es gibt Fernsehwochen, da kommt es richtig dick. Man guckt und denkt an Völlerei. Oder an ein Luxusleben, das man so gar nicht kennt, weil man entweder nicht den feinen Gaumen oder das große Portemonnaie oder beides nicht hat. Oder weil man sonst im Fernsehen mit lauter Armuts-, Hunger- und Elendsreportagen abgefüttert wird. Doch siehe da, es gibt sie noch, die Feinschmecker-Reisen für die, die sonst schon alles haben, wenn auch als Reminiszenz an den Zeitgeist fürs Fernsehen in "Reportagen" umbenannt. Eine ganze Serie befasst sich im Bayerischen Fernsehen mit wöchentlichen Schlemmerreisen nach Frankreich auf Fremdenverkehrsbasis. Mit Musette-Melodien zu lieblichen Landschaftsbildern führte die dritte der insgesamt dreizehn Folgen direkt ins "kulinarische
s "kulinarische Kleinod" Burgund, wo der "sagenumwobene Burgunder-Wein die Laune hebt und die Zunge löst". So muss es dem Reporteur Werner Teufl nach seiner Wein- und Delikatessen-Sause selber ergangen sein. Er berichtete nicht, sondern trug mehr wie ein PR-Männchen Unsägliches über Wein, Weib und Gesang vor: Der Burgunder-Wein ist "ein edler, guter Tropfen", "Uta Heselhaus ist ein Beweis dafür, dass Frauen auch beim Wein das bessere Näschen haben" und "für Tanzgruppen aus dem ganzen Land ist es eine Ehre, ihre Region (auf dem Weinfest) zu vertreten". In dieser Diktion geht es weiter, als hätte Teufl aus den entsprechenden Werbebroschüren abgeschrieben: "Mit viel Liebe und Ruhe werden die klassischen Honigkuchen zubereitet", die - dem Redakteur sei´s geklagt - nicht nach "pains d´épices", sondern wie "pins d´ipices" klangen. "Das Publikum staunt", "die fröhlichen Weisen locken uns zum Weinfest" und "das Mittelalter und seine Fron werden bei diesen Bildern lebendig" - bei jenen für die Touristen nachgestellten Szenen nämlich, in denen die traditionelle Handarbeit in der Kelterei vorgeführt wird. Das alles in ganz und gar fürs Mittelalter unüblicher Sauberkeit, und überhaupt sah dieses Burgund aus wie ein Katalog aus der Schweiz: geputzt, eher nach Ariel denn nach Weinseligkeit im "Land des Savoir-Vivre". Wozu der zwischen "jungem, ungestümem Federweißem" und "ehrwürdigen Adelsgeschlechtern" hin- und hergerissene "Schnabulierer" im Auftrag des BR fähig ist, verriet nicht zuletzt die Frage des Autors im Off-Text, ob "der scharfe Ingwergeschmack die Wildheit des Zanders herauskitzeln kann?" Er kann. Zwei Tage später die Steigerung von Zander und noch mehr Luxus: Hummer auf Reisen, dem Peter Sydow für das ZDF nachgejettet ist. Um es kurz zu fassen: Der Hummer ist natürlich "vom Feinsten" und kommt aus Kanada, wird in Meckenheim bei Bonn von George Kestner verschachert und zuletzt auf einer Finca auf Mallorca verspeist, für einhundert Euro das Stück. Bei Bornheimers wird schließlich nicht geknausert, wie der schüchterne Kamerablick offenbarte. Um ausführlich zu beschreiben, was sich der fleißige Reporter in seiner Bewunderung für die Tüchtigen dieser unserer Welt ("wieder zehn Stunden Flug, wieder vier Stunden Autofahrt, das Familienleben findet per Telefon statt") alles notiert, aber leider kaum sortiert hat, so dass die ganze Sendung wie aus einem Bild-Ton-Zettelkasten purzelte: Es gibt ein Monopol in Sachen Feinkost, Rungis-Express, worüber das ZDF, Product placement-erfahren, wie es ist, eine Sendung dreht. Der Rungis-Express gehört besagtem "rastlosen" Herrn Kestner, der deshalb neben seinen groß beschrifteten LKWs ständig in Bild und Ton erscheinen muss. Also fliegt das ZDF-Team mit dem Chef nach Kanada, zu einem ebenso tüchtigen deutschen "Exklusiv-Geschäftspartner". In Barcelona gibt es "die größte Auswahl an Fisch", weshalb die LKW-Fahrer von Herrn Kestner siebzehn Stunden unterwegs sind ("einer von vielen LKWs von Rungis-Express, aber doch ein wichtiges Glied in der Kette"). Ein Tausend Schlemmereien aus achtzig Ländern werden im Firmenzentrum in Meckenheim über Computer geordert und per LKW geliefert. Klar, dass auch die Verkäufer, Fahrer und Packer fernab von Tarif- und anderen Gesetzesbestimmungen schuften, damit der "zweistellige Millionenbetrag jährlich" für den Chef erreicht wird, der tierisch korrekt auf die ungemein kritische Frage nach "Tabus" antwortet, dass er kein "Delphinfleisch" anbieten würde. Herr Bornheimer wiederum ist Hobbykoch und in Deutschland "Wirtschaftsanwalt". Trotzdem wird es ewig ein Geheimnis für den gemeinen Zuschauer bleiben, warum Herr Bornheimer so überaus exklusiv und "ausnahmsweise" diese Art Hummer-Homestory lieferte: "Als sich der Abend über die Insel legt, darf ein erlauchter Kreis von Freunden des Hausherrn Kochkünste verzehren." Wieder zwei Abende später, wieder das ZDF, das diesmal mit Christian Twente auf Expedition ging und sich "im Land der glitzernden Steine" (Südafrika) nach "Hochkarätern" umgeschaut hat. Kein essbarer Luxus, aber in der gegenwärtigen Situation, wo eine weltweite Kampagne gegen die "Blut-Diamanten" darauf aufmerksam macht, dass mit einem Großteil der Funde aus Afrika die Kriege dort finanziert und damit zum Selbstzweck verlängert werden - ein ebenso spannendes Thema wie das über Hummer und anderen Köstlichkeiten. Wenn es denn die Zusammenhänge zwischen Reichtum, Überfluss und Konsumverwirrtheit hier und Ausbeutung, Armut und Abhängigkeit dort aufdecken würde. Stattdessen geriet die Expedition zu einem Historienfilm mit ungeheurem materiellen Aufwand an nachgestellten Spielszenen in Originalkostümen. Wieder ging es um einen Monopolbetrieb (de Beers), wieder ging es um geschickte, tüchtige Geschäftsleute, die wie Cecil Rhodes für Aufstieg und Macht stehen und die nur in kleinen Nebensätzen ein paar unschöne Eigenschaften aufwiesen. Wieder ist alles drumherum "unberührte Natur", und die schwarzen (Ur)Einwohner schwirren höchstens als dienstbare Geister durch die Kulisse. Wieder wird Geschichte in einer Sprache dargestellt, bei der man nicht weiß, ob man an der kitschigen Poesie ("glitzerndes Vermächtnis der Urzeit") oder an der politischen Ignoranz verzweifeln soll (die Apartheid war "der unheilvolle Pakt gegen die schwarze Bevölkerung"). Kurz und schlecht: Es gibt sie noch, die appetitfördernden Reiseberichte fürs Volk, das nach Luxus hungert. Die Frage bleibt, ob das Volk diesen Luxus braucht, um seinen Hunger zu stillen.
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