Klagenfurter Literaturtage

Kulturkommentar Der deutschen Literatur fehlt eine Wörtherseebühne. Hier wäre der ideale Ort für eine Melange aus Bachmann-Preis und Ein Schloss am Wörthersee

Die schönen Tage in Klagenfurt sind zu Ende. Aber anders als es Beichtvater Domingo dem Kronprinzen Don Carlos bescheinigt, sind wir keineswegs vergebens hier gewesen, was nicht unbedingt an der Literatur liegt. Wer glaubt, bei den Klagen, Pardon, den Tagen der deutschsprachigen Literatur, stünde selbige im Mittelpunkt, kennt den Bachmann-Wettbewerb nur aus der Fernseh- bzw. der Google-Earth-Perspektive. Immerhin, aus letzterer, in diesem Jahr häufig erwähnten Perspektive lässt sich eines nicht leugnen: Das vielfach besungene Wasser des Wörthersees existiert. Mehr noch: es ist längst ein nach Westen hin offenes Geheimnis. Vom stickigen ORF-Theaterstudio am Rande der Innenstadt, wo die Kandidaten alljährlich um die insgesamt 56.500 Euro lesen, ist es ein kurzer Weg zum eigentlichen Schauplatz dieses Literaturbetriebs­ausflugs mit eingebautem Wettbewerg: Das Mario Loretto, selbst am wunderschönen Wörthersee gelegen.

Maria Loretto, das klingt zu Recht ein wenig nach Edelbordell. Es ist eine ins türkisklare Paradies ragende Halbinsel, ein Strandbad, ein Edelfischrestaurant und eine Terrasse mit Blick auf den von Alpen umkränzten, im Abendlicht glitzernden See. Noch während die Moderation sich für den Tag verabschiedet, hüpft alles, was ein blaues Namensschildchen besitzt, auf sein Mietfahrrad, um dem Glück entgegenzutreten. Dabei vollführt der literarische Betrieb entlang des Klagenfurter Lendkanals eine Art radelnde Metamorphose: Vom Wörter-Meer zum Wörthersee, vom Geiste der Ingeborg Bachmann zum Geist Roy Blacks, der Anfang der 90er Jahre den Hauptdarsteller in der Serie Ein Schloss am Wörthersee gab. Und abends, wenn der lauwarme Jazz von einer lauwarmen Sommerbrise über die Seeterrasse getragen wird, kommt man nicht umhin, sich zwischen den Buffets, Bankettes und Balustraden wie in einem ZDF-Dreiteiler zu fühlen.

Ein Schloss am Wörthersee brachte es auf 34 Teile, und auch das deutsch-schweiz-österreichische Lesespektakel ging heuer zum 34. Mal über die Bühne. Wäre es da nicht an der Zeit, über fernsehhistorisches Neuland nachzudenken? Über eine Melange aus Bachmann-Preis und Ein Schloss am Wörthersee? Die deutsche Literatur, soviel steht fest, fehlt gerade noch eine Wörtherseebühne. Wo heute schon bei Eierschwammerl und gespritzem Aperol literatur­betriebliche Liebeleien angezettelt werden, könnte morgen das ganz große Theater stattfinden. Auch Don Carlos weiß, dass kindische Einfälle göttlich schön sein können. Man stelle sich vor: Meike Feßmann sprachlos vor Rührung im Sturm der Literatur, Karin Fleischanderl als intrigante Gegenspielerin und Alain Claude Sulzer endlich mit einer Aufgabe, um nicht zu sagen: In der Rolle seines Lebens. Die anderen Juroren müssten vermutlich neu besetzt werden. Aber dafür kämen die bisher noch sehr hilflos wirkenden Lokalpolitiker augenblicklich auf Betriebstemperatur, und auch Clarissa Stadler wäre vorstellbar, wie sie zahnpastalächelnd durch schunkelnde Reihen flaniert. Dann, nach vier Tagen Bacardi-Feeling, stehen am Schluss alle auf der Terrasse des Maria Loretto und hinauf zu den Bergen erklingt die ästhetische Forderung an den Wettbewerb des kommenden Jahres: „Glück und Tränen am Wörthersee / blauer Himmel soweit ich seh’ / und dazu Geschichten / wie sie nur das Leben schreibt”.



Jörn Dege war Teilnehmer des 34. Klagenfurter Literaturkurses

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