Sie liebt ihn und er liebt sie. Nur erfahren soll das besser niemand. In Groschenromanen ist das normal. Kein Land in Sicht, keine Zukunft nirgendwo, und am Ende wird doch alles gut. Wäre das wahre Leben ein Groschenroman, dann müssten Maria und Martin nur das Happy End abwarten. Doch das wahre Leben spielt meist komplizierter, und so bleibt ihre Zukunft auch nach fünf Jahren Gegenwart so ungewiss wie die Rückkehr des Heilands - denn Martin gehört einer anderen. Es ist schwer zu ertragen, nur Geliebte zu sein. Es ist unerträglich, wenn die andere die römisch-katholische Kirche ist. Doch ihr hat Martin sein Wort gegeben, hat versprochen, neben ihr keine andere zu lieben und allein ihr die Treue zu halten - enthaltsam und ehelos. Die Kirche nennt es Zö
Klassiker der Tarnung
Alltag So mancher katholische Pfarrer hat neben der Kirche noch eine feste andere Geliebte. Für die gibt es nur eine Berufsperspektive: Haushälterin
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46;libat. Martin nennt es Zwang. Für Maria ist es Blödsinn. Denn tatsächlich nimmt es jeder zweite Pfarrer damit nicht so genau und lebt vermutlich sogar jeder dritte in einer festen Beziehung - so wie Maria und Martin. Maria und Martin heißen in Wirklichkeit ganz anders, sind irgendwas zwischen 30 und 40 Jahre alt und wohnen irgendwo in Bayern. Irgendwo, in einem Paar-Tausend-Seelen-Städtchen, wo die Kirchentürme Zwiebeln tragen, und die Welt in ihren Festen ruht. Hier denkt und lebt und liebt man wie es sich gehört - konservativ. Hier ist man wer als Pfarrer - geachtet, verehrt und beliebt - wird gegrüßt auf der Straße und um Rat gefragt, kommt gleich nach dem Bürgermeister und manchmal sogar noch davor. Hier ist man wenig als Haushälterin - züchtig und tüchtig und am besten unauffällig. Sie putzt das Pfarrhaus, wäscht seine Wäsche, kocht sein Essen und darf ihm so legitim und unverdächtig nahe kommen. Maria, die Haushälterin, und Martin, der Pfarrer, - ein Klassiker der Tarnung. Liebe ist wie Reichtum - ungerecht verteilt und ohne Garantie auf Glück ein Leben lang. Noch vor ein paar Jahren lebte Maria in einer anderen kleinen Stadt ohne Namen, erst mit Mann und drei Kindern, dann allein mit drei Kindern. Da fing alles an. Ihr Mann war gerade ausgezogen, die Ehe gründlich gescheitert, da bekam die Pfarrei diesen neuen Kaplan - jung, gut aussehend, Martin. Ein Mann, charmant und verständnisvoll, der endlich auch mal zuhören konnte. Ganz anders als Marias Ex. Ob sie ihm nicht helfen wolle, den Kindergottesdienst vorzubereiten, hat er sie gefragt - jung, zierlich, Maria. Religiös war sie zwar schon immer, nur die Kirche hat sie nie gebraucht und ging nur selten hin. Das sollte sich ändern. Man besuchte sich, kam sich näher und blieb irgendwann auch mal länger - erst einmal und dann immer wieder. Wie so etwas eben passiert. Am Anfang dachte Maria oft: "Was mach´ ich hier eigentlich?" Am Anfang dachte Martin noch: "Mensch, jetzt bist du auch einer von den wenigen." Und beide dachten, das geht vorbei. Heute leben sie zusammen - immer heimlich, nicht immer panisch. Und so hat Maria "Ja" gesagt, als ihre jüngste Tochter eines Tages fragte: "Mama, darf ich das überhaupt meiner Freundin erzählen?" Man darf nicht anfangen, irgendwann selbst zu glauben, dass man etwas Unrechtes tut. Als sei das was Schlimmes. Als könnte Liebe Sünde sein und der Zölibat ein Sakrament. Nur das Kirchenrecht verpflichtet den Priester zum Zölibat. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit soll er dem Dienst an Gott und den Menschen widmen. Frauen lenken da nur ab. Schlimmer noch: Sex macht den Priester unrein für liturgische Handlungen. Und so muss ein jeder versprechen, "um des Himmelreiches willen" Enthaltsamkeit zu wahren. Das verlangt die Kirche. Die Bibel verlangt es nicht. "Was die Ehelosigkeit angeht, so habe ich keine Weisung vom Herrn", schreibt Paulus im Brief an die Korinther. Und obwohl selbst Petrus, Vorläufer und Vorbild aller Päpste, verheiratet war, besteht die Kirche seit dem Jahre 1139 auf dem Zölibat. Bis heute klammert sich der Papst an diese keusche Pflicht, als stünde ohne sie der baldige Untergang Roms zu befürchten. Und weil Rom nicht Athen ist, wird darüber auch nicht diskutiert. Überlegungen, die Pflicht der Freiwilligkeit zu opfern, sind ebenso Tabu wie die Kinder der Priester. Es gehen Gerüchte, dass die Kirche für bis zu drei uneheliche Kinder Unterhalt zahle - schamhaft verbucht unter "offene Baustellen" - üblicherweise aber greift der Priester in die eigene Tasche um seinen heimlichen Nachwuchs zu finanzieren, wie jeder weltliche Rabenvater auch. Wenn die Kirche vom Zölibatbruch erfährt, muss sich der Priester von der Frau trennen und wird dann versetzt. Nur wer wirklich heiraten will, muss das Priesteramt aufgeben. Und obwohl es Jahre dauert, bis der Antrag auf Entlassung bewilligt wird und obwohl für viele Priester die Suche nach einem anderen Job schwierig ist, stehen den weltweit etwa 400.000 katholischen Priestern heute annähernd 100.000 verheiratete gegenüber, die ihr Amt nicht mehr ausführen dürfen Martin will nicht versetzt werden, und er will Pfarrer bleiben. Er liebt Maria, er liebt sein Amt und will beides nicht missen. Vier Jahre war er Kaplan, bevor er in einer anderen Gemeinde Pfarrer wurde. Da sah es für eine Weile so aus, als hätte die Liebe ein Ende. "Er hat gekämpft mit sich und dem Zölibat", sagt Maria. "Ich brauchte Zeit zum Überlegen", sagt Martin - so lange, bis er wusste, dass er diese Prüfung nicht braucht, um ein guter Priester zu sein. Heute sagt er: "Es geht nicht darum, die Regeln der Kirche ohne Wenn und Aber einzuhalten. Es geht darum, die Vision vom Reich Gottes zu verwirklichen." Im Ringen ums Zölibat findet die heimliche Priesterliebe oft ihr jähes Ende. Nicht immer lässt sich sagen, dass dieses Ringen ehrlich war. Manchmal verlässt den Herrn Pfarrer ganz plötzlich die Lust. Dann lässt er die Geliebte fallen und steuert doch wieder den Hafen der Treue an - weil auf hoher See die Gischt so schäumt, weil es so nicht ewig hätte weiter gehen können und weil man sich zum Glück nie etwas versprochen hat. "Der Zölibat ist oft nur der vorgeschobene Grund für die Trennung - eine Art Totschlagargument", sagt Ulrike Ulbricht von der Initiativgruppe der vom Zölibat betroffenen Frauen. Hinter dem komplizierten Namen verbirgt sich ein Netzwerk von Frauen, die sich gegenseitig helfen, mit den Nebenwirkungen der Priesterliebe umzugehen. Über 1.000 unterstützen die Gruppe, etwa 100 werden zu den halbjährlichen Treffen eingeladen, doch meist kommen nur 20 bis 30. "Viele Priester möchten nicht, dass ihre Freundinnen zu uns Kontakt aufnehmen", sagt Ulrike Ulbricht. Mehr noch als die Enttarnung fürchtet mancher, dass die Frauen beginnen, Ansprüche zu stellen. "Er ist richtig ausgeflippt, als er von dem Treffen erfuhr", erzählt die Ex-Freundin eines Priesters, die in einer norddeutschen Großstadt lebt. Das ewige Auf und Ab, kein wirkliches "Ja" und kein endgültiges "Nein" - das hatte sie so gründlich satt wie die Frage der Freunde, wie oft sie sich noch erniedrigen lassen wolle. Mit den Jahren wächst in heimlichen Partnerschaften der Leidensdruck - ewig warten, sich nur nicht verraten, leugnen und verleugnet werden. Auch Maria reist regelmäßig zu den Gesprächsrunden, weil sie sich vom Zölibat betroffen fühlt und weil sie stört, dass die Priester immer im Mittelpunkt stehen. "Erst drohen sie, am Zölibat zu zerbrechen, und wenn sie heiraten, am Verlust ihrer Vision", sagt sie. Dabei bringen die Frauen meist die größeren Opfer. Martin verzichtet auf die Keuschheit, sie verzichtet auf ihr halbes Leben. Haushälterin ist kein schlechter Beruf, doch sie hatte einen, den man "anständig" nennt. Nur um bei Martin zu sein, hat sie ihn aufgegeben - die eigene Wohnung und gute Freunde auch. Hat zusammen mit den Kindern die Heimat verlassen, im Tausch gegen ein halböffentliches Leben in dieser kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt und nicht viel verborgen bleibt. Privatsphäre gibt es nur hinter den Mauern des Pfarrhauses - wenn der alte Kaplan nach Hause gegangen ist und Marias Vorgängerin nicht gerade nach dem Rechten schaut. Die ist längst in Rente, besitzt aber noch den Schlüssel. So ist das hier. Natürlich hat Maria in dieser neuen Umgebung auch neue Freunde gefunden, nur leider keine, denen sie ihr Geheimnis anvertrauen wollte. "Ich müsste verlangen, dass sie es für sich behalten - und das könnte ich nicht", sagt sie. So wissen es also nur wenige Auserwählte. "Wir brauchen ja auch Kontakt nach Außen. Irgendwann muss man raus aus der Isolation", sagt Martin. Seit einiger Zeit treffen sie sich deshalb mit 15 anderen Priesterpaaren aus der Region - regelmäßig und an wechselnden Orten. Danach weiß Maria wieder, dass es ihr vergleichsweise gut geht, dass sie und Martin ein positives Beispiel sind. Eins, das beweist, dass heimliche Liebe auch glücklich sein kann. Die Gruppe hat sich über den "Verein katholischer Priester und ihrer Frauen" zusammen gefunden. Ein Verein, der in schwierigen Situationen hilft und vermittelt und der sich die "Überwindung des Zölibatsgesetzes" zum Ziel gesetzt hat. Dazu müssten sich nur möglichst viele Paare öffentlich zu ihrer Beziehung bekennen. Das soll die Amtskirche in Bedrängnis bringen und zum Einlenken zwingen, hofft der Verein. Maria und Martin mögen daran nicht recht glauben. "Der Verein sagt, unsere Heimlichkeit stütze den Zölibat. So werde sich nie etwas ändern", sagt Maria. Doch sie allein trägt das Risiko. Wenn es zum Skandal käme, wäre sie ihren Job los, Martin würde man höchstens versetzen. So will es die gute katholische Tradition: Schuld trägt nur die Frau, die mit ihren weiblichen Reizen den Priester in Versuchung führte. Und wenn man nur beide soweit wie möglich von einander trennt, dann wird alles wieder gut - no woman, no cry. Maria und Martin wollen ihr Glück nicht strapazieren. Zwar führt heute nicht unbedingt jede gezielte Indiskretion geradewegs in den Skandal, doch die gelegentlich geübte bischöfliche Nachsicht liegt weniger an keimender Toleranz als am akuten Priestermangel. Die Leitungen der Diözesen haben alle Mühe, den normalen Gemeindebetrieb aufrecht zu halten. Bereits vor drei Jahren fehlte der Hirte in 5.000 der 13.000 deutschen Gemeinden. Und von den Studenten an den Priesterseminaren lässt sich nur noch ein Bruchteil weihen - was nicht nur, aber auch am Zölibat liegt. Die amtierenden Pfarrer hetzen durch immer größer werdende Pfarrbezirke - von Beerdigung zur Taufe zur Seelsorge zum Schreibtisch. "Mehr geht nicht", sagt Martin. "Zu viel", sagt Maria. Und so bleibt für ihre Beziehung nur wenig Zeit, bleibt nur der Montag, denn Montag ist des Pfarrers Sonntag. Montags heißt es: Kundschaft abwimmeln. Wenigstens diesen einen Tag in der Woche. Wenn es klingelt, geht sie ran. Wenn es klopft, öffnet sie. Und wenn es nicht dringend erscheint, sagt sie den Leuten: "Der Pfarrer hat heut´ frei." Nur wenn die entgeistert fragen: "Und was hoam Sie jetzt damit zum tun?" - dann wird Maria leise. Sie liebt ihn, und er liebt sie. Nur erfahren soll das besser niemand.
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