Klee und Kandinsky

Ausstellung II Eine Fotografie aus dem Jahre 1929 zeigt die Maler Wassily Kandinsky und Paul Klee einander zugewandt, in der Pose von zwei Künstlerfreunden, die ...

Eine Fotografie aus dem Jahre 1929 zeigt die Maler Wassily Kandinsky und Paul Klee einander zugewandt, in der Pose von zwei Künstlerfreunden, die sich die Hand zum Bunde reichen. Diese Selbstinszenierung wird häufig als Anspielung auf das Denkmal der Dichterfreunde Goethe und Schiller in Weimar gedeutet, in der Gegenwart gelten beide Maler als herausragende Kultfiguren der klassischen Moderne. Es ist Zufall, dass nun zeitgleich in München und Berlin große Ausstellungen gezeigt werden, die jeweils ein Gesamtbild ihres Werkes bieten.

Diese Tatsache ist deswegen erstaunlich, weil auch die Biografien dieser Künstler viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Beide fühlten sich um 1900 von der Kunststadt München angezogen, studierten an der Kunstakademie und suchten fern von ihr nach einer eigenen ästhetischen Sprache. Kandinsky gelang 1911/12 der Durchbruch zur Abstraktion, Klee wurde als moderner Künstler etwas später bekannt. Am Bauhaus lehrten beide dann mehr als ein Jahrzehnt, in dessen Verlauf sie sich anfreundeten. Beide verfolgten mit strategischem Sinn den Aufbau ihrer Karriere durch Präsenz im Ausstellungsbetrieb, im Kunstmarkt und in der Kunstkritik. Beide wurden früh als Protagonisten der "kulturbolschewistischen Entartung" stigmatisiert, weswegen sie ab 1933 jede Wirkungsmöglichkeit in Deutschland verloren. Klee zog nach Bern, Kandinsky nach Paris. Erst postum wurden sie als Heroen der modernen Kunst anerkannt.

Die beiden Ausstellungen veranschaulichen die Unterschiede zwischen den beiden Individualisten. Die von Peter-Klaus Schuster initiierte Berliner Klee-Schau will ihn als Universalisten des menschlichen Lebens zeigen. 300 überwiegend kleinformatige Werke sind nach Themen wie Kindheit, Eros, Natur oder Architektur geordnet. Damit finden sich Arbeiten aus der frühen Bauhauszeit und dem Todesjahr 1940 nebeneinander. Eine lebensgeschichtliche Entwicklung wird nicht erkennbar. Am Beginn hängt ein Kopf mit dem Titel Versunkenheit von 1919, ohne Ohren, mit zusammengekniffenen Augen, einer nach innen gerichteten, psychischen Energie - in Teilen vermutlich ein Selbstporträt. Aus dem Credo dieser Lebensführung speiste sich seine Kraft zur Bilderfindung. Kunst sei Schöpfung. Bezaubernd eine für den Sohn Felix gestaltete Puppe, die ebenfalls als Selbstporträt zu identifizieren ist. Klee pendelte fortwährend zwischen der Wahrnehmung des Figürlichen und der Abstraktion, dem Experiment mit Formchiffren und Strichmännchen (herrlich die Zwitschermaschine von 1922) sowie fein abgestuften Farben. Dieser Klee ist ein Fest für die Augen.

Im zentralen Raum ist ein analytischer Zugang zu Klee nachzuvollziehen. Der renommierte deutsch-amerikanische Kunsthistoriker Otto Karl Werckmeister hat als Gastkurator diejenigen Künstler erkundet, an denen sich Klee orientiert hat: Hodler, van Gogh, Delaunay, Picasso oder Kandinsky.

Die Münchner Retrospektive zum Werk Kandinskys zeigt dagegen 95 überwiegend großformatige Gemälde, die dessen vier Phasen repräsentieren: die Zeit mit dem "Blauen Reiter" und der "wilden" Abstraktion, die Jahre in Moskau, der geometrische Stil am Bauhaus und die späten Jahre in Paris. Hier kann der Betrachter die unterschiedlichen abstrakten Formensprachen ablaufen, was bisher kaum möglich war.

Beide Ausstellungen sind hervorragend besucht, auffälligerweise überwiegend von einem älteren Publikum, das die Werke in der eigenen Jugend noch als Herausforderung des Sehens erlebt hat. In der Gegenwart haben beide Künstler jede provokative Kraft eingebüßt, was den Wert ihrer Kunst nicht mindert. Vieles bleibt jedoch weiter rätselhaft und unverständlich, insbesondere bei Kandinsky. Die Avantgarde der klassischen Moderne ist zu einer Normalität geworden. Sie wird konsumiert.


Das Universum Klee Neue Nationalgalerie Berlin, noch bis 8. Februar. Kandinsky - Absolut. Abstrakt, Lenbachhaus München, bis 22. Februar

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