A–Z Laien zerbrechen sich den Kopf über Leerverkäufe oder „Shorts“. Kleinanleger überschwemmen den Markt der Wertpapiere, der in der Coronakrise boomt. Unser Lexikon
Aufstand Weil sich im Netz eine Reihe von Kleinanlegern zusammengefunden hatte, geriet ein milliardenschwerer US-Hedgefonds an den Rand einer Katastrophe. Es wäre die größte Pleite für die Banker seit 1990 gewesen.
Auf der Social-Media-Plattform Reddit planten viele Menschen einen strategischen Angriff auf den Fonds. Sie kauften massenhaft Anteile von Gamestop, einem Unternehmen, das Computerspiele in Filialen verkauft – ein aussterbendes Geschäft. Weil absehbar war, dass Gamestop pleite gehen wird, gingen große Hedgefonds – wie üblich – „short“, sie wetteten auf sinkende Kurse und verkauften Aktien, die sie noch gar nicht hatten (➝ The Big Short): so genannte Leerverkäufe, um aus der Misere Gewinn zu schlagen. Da
rkäufe, um aus der Misere Gewinn zu schlagen. Das passte vielen Reddit-Usern nicht. Die Gamestop-Aktie legte um 1.700 Prozent zu. Der Hedgefonds Melvin Capital musste mit 2,75 Milliarden Dollar von anderen Investmenthäusern gerettet werden.Konstantin Nowotny CCrash Traditionell sind Deutsche ja eher aktienskeptisch, aber in Krisenzeiten investieren sie wie blöd? Am Anfang von Corona, als die Börsen kurz und heftig einbrachen, verkauften die Leute nicht etwa panisch, sondern es gab einen Run. Neue Anleger stürmten die Banken und Börsen, überall auf der Welt. In den ersten drei Quartalen 2020 haben die Deutschen Aktien im Wert von 34 Milliarden Euro gekauft, laut Statistischem Bundesamt. Vorn lagen Einzelaktien, Zertifikate, dann ETFs, also langfristige ➝ Fonds, die automatisch einem Index folgen. Neobroker wickeln die Sparpläne der jüngeren Generation per Smartphone ab. Während in den USA Millionen Neubörsianer in der Krise nicht nur mit Aktien, sondern teils riskanten Finanzderivaten dealen und Schecks aus der staatlichen Corona-Konjunkturhilfe verzocken, wollen Deutsche vor allem vorsorgen. Maxi LeinkaufFFonds Zwei Formen der Finanzialisierung prägen die Branche: Die erste repräsentiert den traditionellen Sektor. Also Versicherungen oder institutionelle Anleger wie Pensionskassen. Sie animieren zu Investments in kleine Anlagen, wo keine Kontrolle über die Unternehmen angestrebt wird. Man investiert also in ein bestehendes Management.Bei der zweiten Finanzialisierungsform, etwa durch Hedgefonds, geht es darum, mit dem Erwerb von Anteilen die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen um dann dessen Effizienz zu steigern. Sie werden auch „Heuschrecken“ genannt. Für diese Fraktion ist die EU mit ihrer Finanzaufsicht eine lästige Bremse. Interessanterweise haben diese Protagonisten mehr für die Brexit-Kampagne gespendet als etwa die britische produzierende Industrie. Diese der libertären Ideologie nahestehenden Leute träumen von London als einem Offshore-Paradies (➝ Jelinek) und damit von einem Werkzeug, um noch mehr Kapital in noch kleineren Gruppen zu konzentrieren. Das mühselige Geschäft der parlamentarischen Demokratie stört da, mit dysfunktionalen Regierungen wär’s leichter. Marc OttikerJJelinek Elfriede Jelineks Theaterstück Die Kontrakte des Kaufmanns feierte bereits im April 2009 im Schauspiel Köln seine Uraufführung. Anhand des Skandals um den Kaffeeröster Julius Meinl, bei dem unter anderem das Geld zahlloser Kleinanleger in karibischen Offshore-Zertifikaten versickerte, baute Jelinek – wenn auch unter der bitter ironischen Bezeichnung „Wirtschaftskomödie“ – den dramatischen Rahmen für die unmittelbar darauf folgende Finanzkrise. Jelinek schreibt über eine Gesellschaft, in der Gier, Lüge und Betrug systematisch sind, und über Menschen, die das nicht sehen wollen. Gutgläubige Kleinanleger, geblendet von bombensicheren Renditeanlagen, mal wieder viel zu naiv. Marc OttikerNNachhaltig Börsenkonzernen eilt selten ein nachhaltiger Ruf voraus. Die DAX-30-Unternehmen etwa stehen nicht für eine ökologische Zukunft. Spezielle Ökofonds sind eine Alternative, haben aber hohe Verwaltungskosten. Und weil Wind- und Solarparks insolvent gehen können, sind Investitionen in einzelne Projekte riskant. Wer auf Profite UND ein reines Gewissen setzt, dem werden „nachhaltige“ ETFs (➝ Crash) angepriesen. Doch die Kriterien dieser breit aufgestellten Fonds sind nicht einheitlich und meist schwammig. Viele „grüne“ ETFs führen Konzerne wie Nestlé oder Shell im Portfolio. So kommt man zu Profiten, nicht zum ökologischen Wandel. Ben MendelsonOOrakel Bevor ich Journalist wurde, arbeitete ich einige Jahre als Analyst in der Londoner City. Viele Kollegen dort behandelten „die Märkte“ als eine Art Orakel, eine Zukunftsprognose, mirakulös aus der kollektiven Weisheit der Marktteilnehmer:innen erwachsen: Weil jeder einzelne ja die Aktien und Dinge kauft, von denen er denkt, dass sie in Zukunft zulegen werden (oder umgekehrt andere „shortet“). Weil „die Märkte“ ahnen, dass ein Krieg ausbrechen wird, stürzt der Ölpreis ab, und dergleichen mehr. Dass das Humbug ist, wusste schon Keynes: Tatsächlich geht es ja nicht darum, die „besten“ Aktien zu halten, sondern nur die, von denen die anderen denken, dass es die besten sind. Keynes nannte das einen „beauty contest“, bei dem nicht das „prettiest face“ gewinnt, sondern jenes, von dem die durchschnittliche Mehrheitsmeinung glaubt, dass die durchschnittliche Mehrheitsmeinung es als das „prettiest“ sehen wird. Pepe EggerPPantoffelportfolio In unsicheren Zeiten von Niedrig- oder Negativzinsen und gestiegener Inflation: Die meisten Deutschen parken immer noch am liebsten ihr Geld auf Giro- oder Sparkonten. So die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage von 2016 im Auftrag der Targobank. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, kein Interesse an Börseninvestments zu haben. Bei den Frauen sind es sogar 60 Prozent. Mit dem harmlos klingenden „Pantoffel-Portfolio“ gibt es seit 2013 nun eine pfiffige Wortschöpfung, die vor allem bequeme und börsenmufflige Anleger*innen erreichen soll. Es besteht aus zwei ETFs (Exchange Traded Funds), einer für die Rendite, der andere für die (Anlage)-Sicherheit. Gerade für Frauen und ihre Altersvorsorge ein niedrigschwelliger Einstieg in die Finanzwelt. Es soll ja noch – vor allen Dingen – Ehefrauen geben, die kein eigenes Konto besitzen. Finanzielle Abhängigkeit vom Partner ist nach wie vor für viele Frauen Thema. Ich werde im Juni Pantoffeln anziehen. Elke AllensteinRRiester Die Riester-Rente ist sicher – ob sie sich hingegen auszahlt, nicht. Benannt nach Arbeitsminister Walter Riester sollte das 2002 eingeführte Fördermodell künftige Rentenlücken schließen. Kurz gesagt gibt der Staat auf eine freiwillige Altersvorsorge einen Zuschlag. Das Berechnungsverfahren allerdings ist kompliziert, das Modell unflexibel und renditeschwach. Möglicherweise liegen die späteren monatlichen Auszahlungen unter der Kaufkraft der Einzahlungen. Banken bieten Riester-Verträge schon nicht mehr an, Versicherer sind zurückhaltend. Eine Reform liegt auf Eis. Die Stiftung Warentest rät: „In der derzeitigen Niedrigzinsphase lohnt sich ein Neuabschluss, wenn der Staat den Großteil der Beiträge finanziert.“ Tobias PrüwerSSchock Ein Presseseminar über Frauenrenten bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Und der Schock: Die Kollegen wollten uns etwas Gutes tun und übergaben uns zum Abschluss einen Auszug mit unserem Rentenanspruch (➝ Riester), das war in den neunziger Jahren noch nicht üblich. Ich erinnere mich, es war mein 40. Geburtstag, und ich wusste: Es ist schlimm. Wie schrecklich schlimm, hielt ich dann in den Händen. In dieser Zeit bewarb meine Gewerkschaft ein Angebot einer Mannheimer Versicherung, die gute Renditen versprach. Panikartig griff ich zu, mit für mich viel zu hohem Beitrag. Die Versicherung war nach ein paar Jahren pleite, landete in einer Auffanggesellschaft. Auf dem Beitrag sitze ich bis heute, Rendite gleich Null. Immerhin: Ich lebe noch. Ulrike BaureithelTThe Big Short Um den Film The Big Short in Erinnerung zu rufen, reicht die Beschreibung „Margot Robbie im Schaumbad mit Schaumwein“. Regisseur Adam McKay bringt wie kein anderer das wahre Problem der Finanzkrise von 2008 auf den Punkt: Termini wie Subprime-Hypothek und Kreditausfalltausch sind derart hypnotisch fad, dass sie augenblicklich das Hirn lähmen, weshalb niemand sie versteht. Die Helden des Films, darüber gab es manches Missverständnis, sind übrigens die Krisengewinnler von damals, die mit ihrer Wette (alle Aktiengeschäfte sind Wetten) gegen die Subprime-Kredite deren Dysfunktionalität aufdeckten. „Shorten“ muss nicht immer etwas Schlechtes sein. Barbara SchweizerhofVVolksaktie „Die Telekom geht an die Börse. Und ich geh mit.“ So bewarb Manfred Krug die T-Aktie als „Volksaktie“. Als einer der ersten gesamtdeutschen Sympathieträger konnte er auch die aktienskeptischen Ostdeutschen überzeugen. Als die Telekom 1996 an die Börse ging, war die Nachfrage riesig. Die hundert Millionen schwere Werbekampagne zahlte sich aus: Zum Stückpreis von 28,50 Mark (etwa 14,30 Euro) schenkte das Unternehmen 713 Millionen aus, legte 1999 und 2000 weitere Aktienpakete auf: für 39,50 und 66,50 Euro. Ein Verkauf hätte sich jetzt rentiert, stattdessen griffen noch mehr Anleger zu. Mit dem Platzen der Internetblase rutschte der Volksaktienkurs in den Keller, 2002 betrug er weniger als 8 Euro. Viele verloren ihr Erspartes. 17.000 Kleinanleger klagten gegen die Telekom, das Urteil steht noch aus. Der Wert der T-Aktie liegt bis heute unter dem zweiten und dritten Ausgabepreis. Die Deutschen gelten weiterhin als Aktienmuffel. Manne Krug, dem sie vertraut hatten, entschuldigte sich aus „tiefstem Herzen“. Tobias PrüwerZZocken Jeder kann Online-Broker sein. Über Apps wie Trade Republic, Justtrade oder Scalable lassen sich Aktiendeals von der Couch aus abschließen. Die Dienstleister nehmen nur eine kleine Gebühr, meist pro Transaktion. Die Apps seien ideal für Kleinaktionäre, finden Verbraucherorganisationen. Sieht nach einer niedrigschwelligen Aktien-Einstiegsmöglichkeit aus, Nutzer brauchen für ihre Geschäfte jedoch hohe Risikobereitschaft und Spielgeld. Sie müssen sich ständig informieren, Online-News und Youtube-Videos gibt es ja zuhauf. Viele Sofabroker halten ihre Aktien nur kurz, um rasch Gewinne abzugreifen. Aussteiger beklagen schlaflose Nächte und Stress durch die Börsenzockerei. Onlinebroker Robinhood ist in Erklärungsnot geraten, weil die App den Aktienkauf von Gamestop vorübergehend verboten hatte, anscheinend auf Kosten der Kleinanleger. Ben Mendelson
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