Kleiner Kommunismus

Portugal Im Süden hat die KP seit Jahrzehnten Wurzeln geschlagen und gewinnt Wahlen geradezu spielend leicht
Ausgabe 37/2020
Aufnahme von einem Festival der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) nahe Lissabon aus dem September 2020
Aufnahme von einem Festival der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) nahe Lissabon aus dem September 2020

Foto: Patricia de Melo Moreira/AFP/Getty Images

Fasziniert von der Pluralität der portugiesischen Linken, nehme ich diesmal die marxistisch-leninistische PCP durch. Im Unterschied zu den Linksblock-Trotzkisten, die Wahltriumphe unter großstädtischen grünliberalen Bobos feiern, bilden die einst prosowjetischen Genossen eine schrumpfende, ältliche, männliche, zuweilen provinzielle, souveränistische, bei einem Thema wie Sterbehilfe durchaus auch mal konservative Partei.

Ich durchfahre mit dem Zug den Alentejo, ein dünn besiedeltes Agrargebiet, in dieser PCP-Bastion wählen die Bauern kommunistisch. An einem Dorfbahnhof sehe ich einen drahtigen Mittsechziger stehen. Die Bundfalte der grauen Hose und der fahlrot gemusterte Stoff des teils aufgeknöpften Hemds wurden schon länger nicht mehr gebügelt, die kurze Filterlose im Mundwinkel wurde schon länger nicht mehr angezündet, und die graue, glatte Baskenmütze hat er schon lange. Ein Kommunist wie aus dem Bilderbuch! Zu Hause wüsste ich genau, was so einer in der Kneipe daherreden wird, bei einem südportugiesischen Kleinbauern weiß ich das nicht.

Die zweite PCP-Hochburg ist die Agglomeration, die südlich von Lissabon, jenseits der Trichtermündung des Tejo, liegt. Um die 80 Prozent wählen dort links, durch die Bank regieren Kommunisten. Moita hatte gar einen Bürgermeister, der „Stalin von Jesus“ gerufen wurde, tatsächlich aber Estaline de Jesus Rodrigues hieß. Ich fahre in das 185.000 Einwohner zählende Seixal, wo die PCP jährlich ihr Kulturfestival abhält. Die „Festa do Avante!“ sollte auch 2020 stattfinden, statt einer halben Million Besucher versprach die Partei eine Begrenzung auf 33.000 pro Tag, organisiert in der weitläufigen Seixaler PCP-Zentrale. In der Portierloge ein Bolivien-Solidaritätsposter und drei dunkel gekleidete Parteimitglieder um die 50, aber da ist auch eine junge Blondierte mit ihrem schwarzen Rasta-Freund. Ich frage die bunte Runde nach ihrem Verhältnis zum heutigen Russland. Gewiss, Lenin war Russe, antwortet der humpelnde der drei Portiers. Aber: „Putin imperialista.“

Die rote Zone um Seixal musste im Juli in einen regionalen Corona-Lockdown. Als Cluster des Schreckens zeigten die Zeitungen das berüchtigte Seixaler Afrikanerghetto „Jamaica“. Ich wandere bedächtig hindurch. Jamaica ist leicht zu erkennen, am Reggae, am Gedränge draußen, an den Murals von Bob Marley und einem so alten Che Guevara, wie er gar nicht geworden ist. Ich setze mich ins Gras und schaue. Brüchige, unverputzte, unbeholfen zusammengeleimte Wohnblöcke, dem Wind ausgesetzte Treppenhäuser, fehlende oder nachträglich eingebaute Fenster, dazu ein Fußballplatz mit netzlosen Toren. In der Mitte ein angebauter Verschlag, wohl eine der hier üblichen illegalen Bars, vor der ein paar Burschen sitzen. Träge, hitzeflimmernde Ruhe. Wie in einem Tex-Mex-Gangsterfilm. Kurz bevor alles in die Luft fliegt.

Nur zwölf Infizierte

Drinnen im Verschlag: eng sitzende afrikanische Familien beim sonntäglichen Mittagstisch, draußen die Burschen auf zerrissenen Müllsofas. Der zornigste blafft mich an: „He, was ist dein Problem?“ Solche Anreden liebe ich, so beginnt ein gutes Gespräch. Den Presseausweis, den ich ihm zeige, fasst er nicht an, weil er das für einen Polizeitrick zur Abnahme seines Fingerabdrucks hält. Er spiele Fußball in der zweiten portugiesischen Liga, behauptet er, für nur 100 oder 200 Euro im Monat. Corona, sagt er, das war nix, nur „zwölf Infizierte, keiner gestorben“.

Die PCP interessiere ihn nicht, die Alten wählen sie, die Jungen gehen nicht wählen, obwohl sich die Seixal regierenden Kommunisten um sie kümmern. In Jamaica wohnen die Familien vollkommen gratis, irgendwann demnächst werden sie in mietfreie Wohnungen umgesiedelt, müssen nur Wasser wie Strom bezahlen und werden nicht mehr frieren im Winter. Ihre Gefühle aber sind gemischt, die Jungen werden Jamaica vermissen. Dort habe man zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Ich verstehe das, er fühlt sich heimelig an, der kleine portugiesische Kommunismus.

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