Klimakampf als Klassenfrage?

Elitenbewegung Wer in der Corona-Krise um den Job bangt, wird sich kaum mit Fridays for Future identifizieren können
Ausgabe 01/2021

Ein Sprachrohr der gesamten Jugend ist Fridays for Future längst nicht. Fast unversöhnlich stehen sich die weltgewandte Klimaaktivistin und der beruflich verängstigte Azubi gegenüber. Die Gräben sind tief. Der Soziologe Klaus Hurrelmann spricht sogar von zwei ganz unterschiedlichen Generationen, wenn er auf die heutigen Jugendlichen blickt. Bei ihm trifft Generation Greta auf Generation Corona. Das sind Menschen im gleichen Alter, deren Überzeugungen Welten auseinanderliegen. Nicht nur, aber vor allem wenn es um Fridays for Future geht. Eine gehörige Portion Mitschuld tragen die jungen Klimaretter daran allerdings selbst. Das dortige Milieu hat kaum Verständnis für die Lebenswirklichkeit der Arbeiterfamilien. Doch eine Bewegung, die nicht den breiten Rückhalt aus der Bevölkerung hat, wird in ihrem Kampf gegen den Klimawandel scheitern. Wir fragen uns daher, wie die Vision einer einfühlsamen Klimabewegung aussehen könnte, in der Fridays for Future tatsächlich alle sozialen Schichten hinter sich versammeln kann.

Klimaaktivismus ist nur dann solidarisch, wenn er sich nicht von der Lebensrealität besorgter Geringverdiener abkoppelt. Und das trifft in unserer Corona-Wirtschaftskrise mehr denn je zu. Schlaflose Nächte sind die neue Lebensrealität vieler Menschen. Um das zu erkennen, reicht alleine ein Blick auf die Automobilindustrie. Bei den Bandarbeitern von VW und Daimler bis zu den Angestellten in der Zulieferindustrie sind längst überall Sorgen über ihre weitere berufliche Zukunft zu spüren. Wie eine Studie der IG Metall herausfand, fürchten sich zurzeit über 40 Prozent aller Beschäftigten in der deutschen Leitindustrie vor einem Jobverlust. Der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet mit einer Entlassungswelle, die voraussichtlich 100.000 Arbeitnehmer treffen wird. Der Kampf um den eigenen Job wird in den nächsten Jahren allgegenwärtig sein. Die Klimakrise gerät in den Hintergrund.

Brüssel statt Bottrop

Die besorgten Arbeiter dürfen in ihrer Zukunftsangst niemals das Gefühl bekommen, im Stich gelassen zu werden. Doch das ist in der Vergangenheit viel zu oft passiert, gerade durch Klimaaktivisten. Slogans wie „there are no jobs on a dead planet“ oder die Besetzungen von Fabrikwerken empfanden viele Menschen in den vergangenen Monaten als unsolidarisch. Fridays for Future verbreitet leider noch immer viel zu häufig die Botschaft, dass Arbeiter einer ökologischen Zukunft im Wege stehen. Empathie und soziales Feingefühl blieben zuletzt oftmals auf der Strecke. Die Systemüberwindung ist für besorgte Menschen nämlich momentan ganz weit weg. Arbeiter sehnen sich nach einem sicheren Leben, Industriefeindlichkeit löst bei ihnen nur Kopfschütteln aus. Klimakampf und Arbeiterkampf müssen in einer sozialen Klimabewegung daher endlich zusammengedacht werden. Fridays for Future muss für eine grüne Industriepolitik werben, die Ökologie mit dem wichtigen Kampf um sichere Arbeitsplätze vereint. Anstatt die Industrie weiterhin nur als den Inbegriff des Bösen zu verteufeln, muss dies unter den Aktivisten endlich begriffen werden.

Das Problem: Fridays for Future wird noch immer als die Rebellion des großbürgerlichen Nachwuchses wahrgenommen. Ganz von der Hand zu weisen ist das auch nicht. Laut einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung haben oder machen 90 Prozent aller Fridays-for-Future-Demonstrierenden Abitur. Juristensöhne treffen in der Bewegung auf Arzttöchter. Sie studieren standesgemäß lieber in Brüssel als in Bottrop. Begünstigte unserer Zeit eben. Ein Habitus entsteht, der so kaum der Alltagswelt der „einfachen Leute“ entspricht. Wer in einer bürgerlichen Familie in München, Hamburg oder Baden-Württemberg aufwächst, kennt die Wörter Strukturwandel und Stellenabbau höchstwahrscheinlich nur aus Arte-Dokumentationen über Detroit oder Duisburg. Im eigenen aufstrebenden Leben spielen diese Themen natürlich keine Rolle. Viele Menschen haben daher das Gefühl, dass sich die wohlbehüteten Aktivisten nicht einmal ansatzweise in ihre Alltagssorgen hineindenken können. Das ist ein unterschätztes Problem! Nicht, dass die Klimasorgen aus dem Mund eines Stipendiaten weniger wahr wären als aus dem eines Arbeiterkindes. Die mangelnde soziale Ausgewogenheit der Bewegung verhindert jedoch eine Identifikation der breiten Bevölkerung mit Fridays for Future. Was darunter leidet, ist ganz klar: die soziale Vielfalt der Bewegung. Und somit auch das Ziel, die gesamte Bevölkerung für den Klimaschutz zu überzeugen.

Die Bewegung muss endlich durchlässiger und inklusiver für Arbeiterkinder werden! Sie könnten in den Ortsgruppen zu neuen Identifikationsfiguren werden, gerade auch für Personen anderer Milieus. Es wäre eine neue Generation von Klimaaktivisten, deren Eltern durchschnittlichen Jobs nachgehen. Ihr Vorteil: Sie hätten noch einen Einblick in die Alltagssorgen vieler Menschen. Aufgewachsen sind sie mit dem Stolz ihrer hart arbeitenden Eltern, die nur mühevoll die Ausbildung der eigenen Kinder bezahlen konnten. Der mögliche Konflikt zwischen Klimaschutz und Jobsicherheit ist für sie auch nicht nur Inhalt eines Uni-Seminars, sondern bitterer Familienalltag. Der Sohn eines entlassenen Opel-Bandarbeiters in Rüsselsheim begegnet dem Umbruch in der Automobilindustrie nicht nur in Hochglanzwerbungen, sondern auch in den Mietschulden der eigenen Eltern. Die Tochter eines Kohlearbeiters aus der strukturschwachen Lausitz ist sich mit jeder Zelle ihres Herzens bewusst, dass der angekündigte Strukturwandel nicht zu einer politischen Floskel verkommen darf. Das bedeutet nicht, dass diese Sorgen den Blick auf die Probleme des Klimawandels komplett verstellen dürfen, aber es erklärt, dass der Klimawandel für Menschen mit ganz existenziellen Sorgen eine geringere Priorität hat. Vielen Fridays-for-Future-Aktivisten fehlt dieses Bewusstsein leider noch immer.

Dass es kaum Arbeiterkinder unter den Fridays-for-Future-Demonstranten gibt, liegt nicht nur daran, dass in Akademikerfamilien Politik meist ohnehin eine größere Rolle spielt. Nein, es liegt auch am eigentlichen blinden Fleck der Bewegung: Während an Universitäten und Gymnasien die Fridays-for-Future-Bewegung zu dem Mensa- und Pausenhofgespräch der vergangenen Jahre wurde, scheinen die Berufsschulen eine verlassene Wüste des Klimakampfes zu sein. Woran das liegt? Anstrengungen der Aktivisten werden fast nur in die Gewinnung der Gymnasiasten und Studenten gesteckt. Dementsprechend fischt man eben lieber im eigenen Gewässer. Man kennt und schätzt sich. Die Abkapselung des bildungsbürgerlichen Milieus führt jedoch ungebremst in die soziale Einbahnstraße. Das hat Fridays for Future inzwischen sogar in ihrem Strategiepapier begriffen. Für die Klimabewegung ist es daher dringend an der Zeit, radikal umzudenken. Es braucht in ihren Reihen endlich mehr Vielfalt, mehr Menschen, die das ganz normale Alltagsleben kennen.

Geht raus und sprecht!

Der britische Klimaaktivist und Schriftsteller George Marshall vom Thinktank Climate Outreach hat im September 2019 eine beeindruckend selbstkritische Rede zur Eröffnung des Kongresses für Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft in Karlsruhe gehalten. Vor versammeltem Haus im Karlsruher Institut für Technologie hielt er den 500 Journalisten, Aktivisten und Wissenschaftlern mutig den Spiegel vor. Er kritisierte den elitären Kommunikationsstil vieler Klimaaktivisten, der Sympathien für Klimaprojekte verspiele. „Besonders Umweltaktivisten sprechen von oben herab und kommunizieren die Klimakrise mit einer erstaunlichen Ignoranz gegenüber ihren Gesprächspartnern“, lautete einer seiner pointierten Sätze. George Marshall ging sogar noch einen Schritt weiter. In seinen Augen haben Klimaleugner und Klimapopulisten vor allem aufgrund der Überheblichkeit vieler Umweltaktivisten einen so großen Aufwind. Eben eine klassische Leerstelle, die besetzt wird. Sie seien die Ignoranz satt und fühlten sich deshalb schließlich lieber zu den „Trumps, Bolsonaros und Johnsons“ auf dieser Welt hingezogen. Am meisten inspirierte aber seine abschließende Aufforderung an das Publikum: „Gehen Sie raus und sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihre linksliberale Weltanschauung teilen.“

Die eigene bildungsbürgerliche Blase zu verlassen, ist genau das, was Fridays for Future zurzeit dringender als alles andere benötigt. Der Applaus in ihrem Kiez oder in ihrem Szenecafé ist ihnen sowieso schon sicher. Warum gehen Fridays-for-Future-Aktivisten denn nicht einmal aus ihren urbanen Kuschelparadiesen heraus und besuchen Fabrikhallen oder Handwerksbetriebe? Für einen Tag in die Welt des Gegenübers eintauchen. Gemeinsam an einen Tisch setzen. Berlin-Kreuzberg meets Bad Kreuznach. Fridays for Future meets existenzgefährdeten Kleinbetrieb in der Provinz. Eben dorthin gehen, wo der Lebensmittelpunkt der allermeisten Menschen liegt. Für viele Aktivisten könnte das mitunter ungemütlich werden, doch es wäre eine einmalige Chance für Fridays for Future. Die Bewegung würde ganz neue, interessante Perspektiven von Menschen erhalten, die in der Klimadebatte bisher zu wenig Gehör fanden. Es besteht nämlich die echte Gefahr, dass Klimapolitik von vielen ungehörten Stimmen als ein „Elitenprojekt“ der gesellschaftlich Privilegierten empfunden werden wird. Leider geht ohnehin schon ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft. Eine noch größere Spaltung der Gesellschaft wäre sicher die Folge, und das wäre ausgesprochen fatal.

Ein neuer respektvoller Ton des Miteinanders, der auf Augenhöhe, statt auf Ausgrenzung setzt, könnte dabei verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewinnen. Bildungsbürgerliche Arroganz führte ohnehin nur zu Verletzungen und sozialer Scham. Direkter Austausch ist noch immer die beste Voraussetzung, um gegenseitige Vorbehalte abzubauen. Die Klimaaktivisten lernen, dass nicht jeder Mensch, der seinen „MacBook-Workspace-Tempel“ noch Arbeitszimmer, Werkstatt oder Produktionsband nennt, ein kleingeistiger Dorftölpel ist. Umgekehrt würde im direkten Umgang aus der vermeintlich arroganten Großstadtgöre ein sympathisches Mädchen werden. Aus verzerrten Wohnzimmer-Feindbildern würden anregende Gesprächspartner. Solche Veranstaltungen bieten jungen Klimaaktivisten darüber hinaus die Chance, Kritiker und Zweifler von ihren Anliegen zu überzeugen. Möglicherweise würde im Austausch sogar eine klimapolitische Zukunftsvision entstehen, in der sich jeder Anwesende mit seinen Sorgen einbringen kann. Sowohl der Stipendiat aus München als auch die Kfz-Mechatronikerin aus der Pfalz. Und Menschen, die sich zuvor noch ausgegrenzt fühlten, säßen auf einmal selbst im Boot der Fridays-for-Future-Bewegung. Einen Versuch wäre es absolut wert!

Clemens Traub, 23, ist Klimaaktivist und Autor des Buches Future for Fridays? Streitschrift eines jungen Fridays for Future-Kritikers (Quadriga Verlag, 2020)

Tim Vollert, 20, ist Fridays for Future-Aktivist und Bewerber für die SPD-Bundestagskandidatur in Höxter-Lippe

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