Der Mensch ist ein erdgebundenes Wesen und dennoch beherrscht der Traum vom Fliegen seit jeher die Gedanken der Menschheit. Erst im 20. Jahrhundert konnte dieser Traum für alle Menschen möglich werden – jedenfalls technisch. Denn auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts steigen weltweit nur etwa zehn Prozent der Menschen in ein Flugzeug, selbst in USA und Europa ist es nur jeder zweite, der einmal im Jahr fliegt, wie der schwedische Wissenschaftler Stefan Gössling und sein Münchner Kollege Andreas Humpe herausgefunden haben. Allerdings ist der globale Jetset, das eine Prozent der Vielflieger, heute für mehr als die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen des Luftverkehrs verantwortlich.
Während der Corona-Pandemie kam der weltweite Luftverkehr zeitweise zum Erliegen. Inzwischen lautet das Kommando wieder „Ready for take-off!“. In Deutschland nähert sich die Zahl der Reisenden allmählich den Vor-Corona-Zahlen, der Urlaub am Mittelmeer ist gebucht. Im nächsten Jahr will die Luftverkehrsbranche den Einbruch der Vorjahre aufgeholt haben und auf Wachstumskurs zurückkehren, als gäbe es keine Erderwärmung. Bis 2040 rechnet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit einem Anstieg der Passagierzahlen weltweit um 4,8 Prozent, eine Verdoppelung gegenüber der Vor-Corona-Zeit! Auch in Europa plant die Branche mit einem Wachstum von 3,3 Prozent.
Keine Alternative zum Kerosin
Bereits heute verursacht der Luftverkehr weltweit 3,5 Prozent der klimaschädlichen Emissionen, in Deutschland sogar acht Prozent. Das entspricht etwa einer Tonne CO2- Äquivalenten, soviel, wie jeder von uns 2045 noch verbrauchen darf. Wie passen diese Entwicklungen zu dem Ziel, bis 2045 in Deutschland und fünf Jahre später in der Europäischen Union klimaneutral zu werden? Selbst wenn alle anderen Sektoren ihre Vorgaben erreichen würden, das Ziel der Klimaneutralität würde allein durch das Fliegen durchkreuzt.
Könnte der Traum vom „grünen Fliegen“ verwirklicht werden, wäre das Dilemma beseitigt, aber es handelt sich eben nur um einen Traum. Um diesen Traum am Leben zu halten, wird aus der Luftverkehrswirtschaft mit viel Aufwand das Narrativ von den technischen Alternativen zum Antrieb mit Kerosin verbreitet: Wasserstoff, Biotreibstoffe und Elektroflugzeuge sollen klimaneutrales Fliegen auch in Zukunft ermöglichen. Sieht man genauer hin, zeigt sich, dass es sich dabei um Scheinlösungen handelt. Auch beim Fliegen mit Bio-Kerosin und synthetischem Kerosin aus Wasserstoff entstehen klimaschädliche Emissionen, die Nicht-CO2-Effekte. Diese lassen die Lobbyisten großzügig unter den Tisch fallen.
Zurecht ist Christopher de Bellaigue im Freitag-Wochenthema skeptisch, ob Elektroflugzeuge die Lösung für den Traum vom klimaneutralen Fliegen darstellen können. Nach jetzigem Stand der Entwicklung sind sie in den nächsten Jahrzehnten kein Ersatz. Weder ist die Batterie-Technologie in der Lage, bis zur Mitte des Jahrhunderts Flugzeuge für Langstreckenflüge auszustatten, noch sind Elektroflugzeuge in der Herstellung klimaneutral. Elektrische Flugtaxis mögen das neueste Spielzeug für Milliardäre sein, als Verkehrsmittel für neun Milliarden Passagiere weltweit in weniger als zwanzig Jahren sollten wir sie vergessen. So wie Tesla nicht der Ersatz für eine klimaneutrale Mobilitätspolitik ist, können uns Flugtaxis oder Elektroflugzeuge einen grundlegenden Wandel in unserem Verhältnis zum Fliegen nicht ersparen.
Was also tun? Fakt ist: Klimaschädliches Kerosin wird mindestens für die nächsten zwanzig Jahre der bestimmende Treibstoff für Flugzeuge bleiben. Damit wird der Luftverkehr noch lange die klimaschädlichste Form der Mobilität sein. Wenn wir Klimaneutralität erreichen wollen, müssen als erster Schritt die heutigen finanziellen und rechtlichen Privilegien des Luftverkehrs beseitigt werden. Um die klimaschädlichen Emissionen kontinuierlich zu senken, wird dies nicht reichen: Der Luftverkehr muss schrumpfen! Auch wenn diese Erkenntnis schmerzhaft ist: Die Menschen müssen am Boden bleiben! Um den Kurswechsel einzuleiten, müssten auf Deutschland bezogen, die heutigen Start- und Landerechte an den Verkehrsflughäfen bis Ende des Jahrzehnts um mindestens zwanzig Prozent gekürzt werden. Dies würde der Logik des Klimaschutzgesetzes entsprechen.
Sofern das Ziel der Klimaneutralität noch praktische Bedeutung haben soll, gibt es dazu keine Alternative, schon gar keine technische. Die Vielfliegergesellschaft steht vor einem kulturellen Lernprozess. Auch über den Wolken ist die Freiheit nicht grenzenlos. Hier sind die Regierungen gefragt. Aber, wer ist nach dem Shitstorm über den Heizungskeller noch bereit, den Deutschen auch noch ihren Flug nach Mallorca wegzunehmen?
Werner Kindsmüller ist Vizepräsident der Bundesvereinigung gegen Fluglärm e. V.
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