Klimaschutz 3-D-drucken? Absurd!

Technik Statt auch im Wohnungsbau die ökologische Wende zu vollziehen, lässt sich die Politik von Spielereien blenden
Ausgabe 34/2021
Klimaschutz 3-D-drucken? Absurd!

Illustration: der Freitag

Die Politik, so zeigen Wahlkampf und Sommerkatastrophen überdeutlich, hat den Kampf gegen die Klimakrise aufgegeben. Statt Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung und Gesetze radikal den Notwendigkeiten des globalen Umweltschutzes anzupassen – und dabei in einen ernsthaften Dialog mit den Menschen zu treten – heißt es: Die Technik soll’s richten. Disruption, die vollständige Veränderung einer bestehenden Praxis, ist dafür das Modewort, gerne gebraucht auf Konferenzen. Ein Beispiel dieser Denkungsart ist jetzt im westfälischen Beckum zu bewundern. Dort steht das erste Haus Deutschlands, das nicht gemauert, betoniert oder als Platte errichtet, sondern aus einem 3-D-Drucker geplottet wurde: In Windeseile emporgewachsen (ein Quadratmeter in fünf Minuten), Wurst auf Wurst, dank Digitalisierung aus dicken Düsen gedrückt und zu Betonwänden geschichtet.

So geht Zukunft!, hieß es zur Eröffnung des schmutziggrauen Flachdachbaus mit seinen merkwürdig runden Ecken. Frohgemut erklärte NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach, fortan ersetzten Roboter die Maurer und Poliere, der Fachkräftemangel sei Geschichte. Anders gesagt: Dank neuer Erfindungen ist der Vorwurf arbeitsmarktpolitischen Versagens bald vergessen.

Die Spitzenpolitikerin hegt noch weitere Hoffnungen: Durch Zeitersparnis lasse sich die Bauproduktion vervielfachen – angesichts des Wohnungsmangels ebenfalls eine gute Nachricht. Dieses Argument dokumentiert geradezu schockierend, wie wenig die Ministerin von aktuellen Debatten mitbekommt. Denn die von Umweltverbänden angestoßenen Diskurse um Nachhaltigkeit werden längst in der Breite geführt, Architektenkammern und Bund Deutscher Architekten haben klare Forderungen an die Politik gerichtet. Die Baubranche, für 30 bis 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, müsse sich an den Klimazielen von Paris orientieren. Das bedeutet etwa: weniger Abriss und Neubau, mehr Umbau und Nachnutzung, höhere Quoten von Recyclingbaustoffen, Schluss mit Beton-Exzessen, Bodenversiegelung eindämmen, kompakter und in der Nutzung flexibler planen. Dazu braucht es neue gesetzliche Rahmenbedingungen. Und genau die werden auf Bundesebene (unambitioniertester Bauminister aller Zeiten: Horst Seehofer) und in den Ländern verschleppt, verpennt, verwässert.

In Beckum zeigt sich unverblümt, wie eiskalt die Politik Notwendigkeiten an sich abprallen lässt, auf Kosten der Umwelt Klientelwirtschaft betreibt und Seilschaften bedient (wobei betont werden muss: das Phänomen ist weder orts- noch parteienspezifisch). Statt Emissionsreduktion geht es der Ministerin um Beschleunigung des Umsatzes. Sie behauptet, „mehr Wohnraum sorgt für günstige Mieten“, während Neubau bekanntermaßen Kosten antreibt, oft am Bedarf vorbei entsteht und durch Spekulation Probleme verschärft. Schon der gewählte Bautyp ist Ausdruck für Energiefressertum, Segregation und „More-is-More“-Wirtschaft: Ein freistehendes Einfamilienhaus von 160 Quadratmetern. Fehlt nur noch die eigene Autobahnabfahrt.

200.000 Euro Steuergelder flossen in das Testprojekt. Auch wenn die wahren Kosten dieses von der seriellen Produktion weit entfernten Prototyps unbekannt sind, hat sich die Investition gelohnt. Denn sie führt uns die Absurdität der Behauptung, Disruption befördere den Systemwandel zum Positiven, klar vor Augen. Die Logik heutiger Politik beweist das Gegenteil. Statt Innovation in einem kritischen Prozess in den Dienst von Gesellschaft und Umwelt zu stellen (was immer das konkret heißen mag), dient sie als Anlass dümmlicher Zukunftsrhetorik. Und das war’s. Derlei Disruptions- und Green-Growth-Bullshit werden wir vor und nach der Wahl im September noch viel mehr hören. Und dann geht’s lachend auf Gummistiefeln durch den Schlamm.

Christian Welzbacher lebt als Publizist und Ausstellungsmacher in Berlin. Zuletzt erschien: Bobby. Requiem für einen Gorilla (Matthes und Seitz)

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden