Mit der Hiobsbotschaft wurde bis kurz nach der Wahl gewartet: Siemens, einer der größten deutschen Konzerne und Arbeitgeber, baut weiter Stellen ab, obwohl der Konzern Gewinne macht. Bis zu 10.000 sollen es sein, davon mindestens 2.400 in Deutschland in den nächsten zwei Jahren. Betroffen sind die Netzwerksparte (Com), der IT-Dienstleister SBS (Siemens Business Service) und die Logistiksparte L (Logistics and Assembly). Die Logistiksparte L wurde zum 1. Oktober aufgelöst, diese Maßnahme ist nun auch für SBS im Gespräch. Ende Oktober wurden Pläne bekannt, dort noch einmal 2.000 Stellen abzubauen. Mit einem radikalen Sanierungsprogramm und ehrgeizigen Renditezielen will der neue Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Klaus Kleinfeld, den Konzern rasant u
t umstrukturieren. Richtmaß sind der Börsenkurs und der Vorteil der Aktionäre."60 Prozent der Aktionäre sind aus dem Ausland", sagt dazu Wolfgang Müller, der bei der IG Metall das Siemens-Team leitet, "die stört es natürlich nicht, wenn in Deutschland Arbeitsplätze verschwinden." Die Hedgefonds, die dahinter stehen, erwarten zweistellige Renditen. Kleinfeld hat dafür Ausreden parat: "Die Märkte sind schneller geworden" und meint damit die kurzfristigen Ansprüche der Aktionäre. "Schmerzlich, aber unumgänglich" sei die Sanierung, sagt Kleinfeld. Und so baut Siemens Arbeitsplätze ab, wenngleich 2004 mit 3,4 Milliarden der höchste Gewinn der Siemens AG überhaupt ausgewiesen wurde. Das letzte Vierteljahresergebnis fiel mit 625 Millionen Euro nach 871 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum zwar schlechter, aber nach dem Rekordjahr immer noch hervorragend aus.Während die öffentliche Aufregung bei der Deutschen Bank groß war, als diese trotz Gewinnzuwachs Stellen abbaute, gibt es bei Siemens kein großes Aufhorchen. Ein kleiner Trick täuscht über den Gewinn hinweg: Die einzelnen Unternehmensbereiche haben feste Vorgaben, welche Renditeziele sie erreichen sollen. Wenn einzelne Konzernteile dann Verluste einfahren, scheint an einem Arbeitsplatzabbau kein Weg vorbeizuführen. Während früher zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen ausgeglichen wurde, ist dies nun strikt untersagt. Wäre man schon vor vielen Jahren so vorgegangen, hätte man die ehemals defizitäre Sparte Medizintechnik schon in den Achtzigern verkaufen müssen - heute ist sie eine der profitabelsten des Konzerns. Das Beispiel zeigt, wie kurzatmig diese Methode ist.Insgesamt hat sich Siemens weiter von Deutschland verabschiedet, nicht nur auf Aktionärsebene, mittlerweile sind von rund 430.000 nur noch 166.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Dahinter steckt ein längerfristiger Trend, denn im Jahr 1998 waren das erste Mal mehr Menschen im Ausland angestellt als in Deutschland. In seinem Bestreben, sich hübsch zu machen für die Aktienmärkte hatte Siemens in den vergangenen Jahren übersteigerte Programme aufgelegt, die die Gewinnmarge für die einzelnen Bereiche auf schwindelerregende Höhen festgelegt hatten. Ergebnis: es wurden Rekordumsätze gemacht, indem der Druck auf die Beschäftigten immer weiter erhöht wurde. Darüber hinaus ist die Belegschaft bereits etliche Kompromisse eingegangen, damit die Produktion nicht ins Ausland verlagert wird. Am Standort Kamp-Linfort wurde unbezahlte Mehrarbeit ausgehandelt, dabei haben Bund und Land gerade das hochmoderne Werk Kamp-Linfort mit 300 Millionen Euro Subventionen gefördert. Im Sommer dieses Jahres endeten Verhandlungen bei der VDO in Würzburg auch mit Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen - um Arbeitsplätze zu erhalten.Öffentlich fordert Konzernchef Kleinfeld gerne die Rückkehr zu alten Tugenden wie Ehrgeiz und Leistungswille. Doch traditionelle unternehmerische Werte wie die Sozialpflichtigkeit von Eigentum oder die Verantwortung von Unternehmen Stellen zu schaffen, sind ihm fremd. Die Siemens-Vorstände genehmigten sich erst mal eine Erhöhung der Bezüge um neun Prozent. Kleinfeld gibt sich angesichts der Sanierung hart und sagt, er wolle "den Krieg gewinnen". Gemeint ist nichts weniger als den Weltmarktführer Generale Electric (GE) zu überholen. Denn GE ist heute an der Börse 300 Milliarden Euro wert, Siemens bringt es nur auf 56 Milliarden. Dabei hat Siemens weltweit 430.000 Beschäftigte, GE aber nur 300.000. Das Ziel, dass alle Bereiche zeitgleich im Frühjahr 2007 ihre Renditevorgaben erreichen, sei in Stein gemeißelt, erklärt der Siemens-Chef.Dabei gibt es durchaus Alternativen zum Stellenabbau. Dies zeigt nicht zuletzt der Kompromiss bei Siemens Com und die Übernahme des Handygeschäfts durch die taiwanesische Firma BenQ. Bei der Kommunikationssparte wurden zum Abbau von Überkapazitäten die 30-Stunden-Woche und Angebote zum freiwilligen Übertritt in eine Qualifizierungsgesellschaft, die für Jobs im Siemens-Konzern fit machen soll, ausgehandelt. Bei der zum 1. Oktober verkauften Handysparte hat Siemens sogar noch Geld (250 Millionen) draufgelegt, damit sie den seit Jahren kränkelnden Geschäftsbereich losbekommt, in dem, im fatalen Gefühl des Booms, Ende der neunziger Jahre Überkapazitäten aufgebaut wurden. BenQ wiederum hat nun angekündigt, die Jobs zu erhalten, ja eventuell sogar Personal anzustellen - ein deutliches Zeichen von Missmanagement des Großkonzerns Siemens.Siemens ist ein Testfall auch für die Konfliktfähigkeit der IG Metall. In den letzten Jahren musste sie überall zurückweichen und Arbeitszeitverlängerungen sowie Lohnabschläge akzeptieren. Gleichzeitig ist aber auch eine neue Organisationskultur gewachsen. Die Gewerkschaft registriert zahlreiche Eintritte von hochqualifizierten Ingenieuren, die früher meinten, die Organisation nicht nötig zu haben. Wie viel Widerstand zukünftig geleistet werden kann, hängt vom Organisationsgrad in den einzelnen Bereichen ab. Wo dieser hoch sei, könne man natürlich mehr bewegen und öffentlichen Protest artikulieren, sagt Müller. Nicht ganz ohne Neid blickt man in der Gewerkschaft auf Frankreich, wo auch mal vom Mittel des Generalstreiks Gebrauch gemacht wird.