Knietief im Reichtum

Bühne Frank Castorf Koproduktion mit den Wiener Festwochen an der heimischen Berliner Volksbühne: Dostojewskis „Der Spieler“ verramscht die Vorlage mit großen Schauspielern

Die Billigkeit der Gegenwart, durch die der Dostojewski durchmuss: Szene aus Der Spieler in der Regie von Frank Castorf

Ein ewiger Riemen. Fünf Stunden lang Schabernack, gallig röhrende Schauspieler, ewige Monologe über Gott und die Welt, Spielhöllenromantik mit Pulverdampf. Die fast durchgängig sentimentale Szenerie ist vollgepumpt mit Jux, Slapstick, dem Gewieher der soap opera, den Kindereien des Jahrmarkts. Und was zum Gaudium der Leute nicht fehlen darf: Ein Pappmachéreptil kriecht auf der Bühne, das, sofern die Drehbühne zum Halten kommt, das Maul auf- und zuklappt. Spieler kriechen in den Rachen hinein und trompeten dumpf irgendwas hinaus. Maul auf, zu, klipp, klapp, das ist zugleich der Inszenierungsstil. Spaß von der Stange.

Wirkliches Lachen? Nee. Nicht mal eins, das einem im Halse stecken bliebe. Der Ernst, den Dostojewskis Spieler hat, wird in Frank Castorfs Inszenierung beim Discounter verramscht. Geblieben sind: ein paar Monologe über Russen- und Slawentum, der reine Unsinn, wenn man die heute hört. Und die Personen, transformiert zu heutigen Menschen. Nur was für welche! Nun mag die Inszenierung an der Volksbühne (eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen) jeder anders sehen. Die Castorf-Fans lieben womöglich das Gekreische und Geschreie, sie mögen das Zerkratzte der medialen Versatzstücke, die doofen rollenden Augen. Sicher aber dürften sie sich in dem Chaos der Scheinkämpfe, wie sie die Bühne bietet, wiederfinden. Empfindliche Ohren mögen das alles gar nicht.

Worum, weswegen wird in dem Stück gekämpft, gelitten, geheult, worüber gefaselt, gelallt, geseufzt? Es sind Triebe, blitzschnell Gewinn einzustreichen. Und Wahnsinnsängste vor dem Ruin. Das Geld als Mittel zur Niederwerfung vernünftigen Strebens, darum geht es. Jede einzelne Figur der Aufführung ist davon betroffen. Alexej und Polinas Liebe, die Hybris der Großtante, die vergebliche Selbstrettung des Generals und so weiter: Alle scheinen reich und sind doch verschuldet. Überfallartig kommt das Las Vegas der Banken, Spielhöllen wie deren Crashs zum Sprechen – in Technicolor: Alex in dem Video wie der Banker im Wilden Westen. Alle in Roulettenburg sind vom Zockerfieber gepackt, jeder vertuscht, will gewinnen. Brandaktuell ist das.

Sophie Rois glänzt

Doch wenn derlei sich im Kreise dreht und lächerlich wird, dann hat man es irgendwann satt. Was kriegt der Bühnenarbeiter, wenn er mit einem Reptil auf den Brettern umgehen muss? Castorf stellt selbst den Volksbühnen-Tarifvertrag zur trödelnden Debatte. Er treibt die Schauspieler, voran Kathrin Angerer als Polina, Alexander Scheer als Alex, Sophie Rois als reiche Babuschka, Frank Büttner als ihr Diener Potapytsch, zu Höchstleistungen, doch versickert deren Spielwitz allzu oft im Ulk, in der Schmiere.

Als die reiche Erbtante auftaucht – alle stehen stramm vor Roisens Antonida Wassiljewna –, brüllt die Crew gar chorisch, doch so dilettantisch, dass es einen schaudert. Die Dame sagt den wunderbaren Satz: „Wollt ihr denn alles mit Musik zuschmieren?“ Was die Musik zum Spieler von Sir Henry mit ihren Rock-Pop-Romantik-Versatzstücken grundsätzlich bejaht.

So war am Abend nur hochspannend: der Realismus der Videosequenzen, live produziert (Andreas Deinert, Mathias Klütz). Nahe rückt nun die Roulettewelt, die Aufnahmen bannen den Stirnschweiß, während gesetzt wird und die Scheibe sich dreht. Das Beste: die Wütereien der Babuschka, die, als sie verliert und ruiniert scheint, den Revolver zieht und dem General ein letztes Mal zuschleudert: „Du kriegst von mir nichts!“

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