Knoblauch-Hamstern in Tunis

Coronavirus Panikkäufe und Corona-Arbeitslosigkeit bedrohen auch in Tunesien die Schwächsten, Ältesten, Ärmsten der Gesellschaft
Auch in Tunesien kommt das öffentliche Leben zum Erliegen
Auch in Tunesien kommt das öffentliche Leben zum Erliegen

Foto: Fethi Belaid/AFP via Getty Images

Auch hier, in der Stadt, in der ich lebe, sprechen im Moment alle über Corona. Zwar ist das Land in der Entwicklung der Fälle Europa einige Wochen hinterher, doch die Angst vor einer Ausbreitung und dem damit verbundenen Kollaps des öffentlichen Gesundheitssystem ist bei vielen Tunesier*innen groß. Nicht bei allen allerdings, manche halten die Aufregung noch für völlig überzogen.

Irgendwo kam in dieser Gemengelage zwischen Panik, Auf-die-leichte-Schulter-nehmen und Dauerdiskussionen in den sozialen Netzwerken das Gerücht auf, Knoblauch könnte gegen Corona helfen – nicht etwa beim Abstand halten nach Überkonsum, sondern zur Heilung. Die Folge: Die Knoblauchpreise schnellten Ende Februar in die Höhe. Eigentlich kostet das Kilo bei meinem Gemüsehändler des Vertrauens normalerweise 10 Dinar, etwa drei Euro. Dann waren es auf einmal 15 Dinar. „Das ist der neue Einkaufspreis im Großmarkt.“ Im Laden nebenan verlangen sie 25. Der Besitzer habe ihm gesagt, er solle auch soviel verlangen, aber das sei doch Wucher, findet mein Gemüsehändler. Ergebnis: Jetzt kaufen alle bei ihm den Knoblauch statt nebenan.

Großhändler freuen sich

Dass Knoblauch nicht wirklich gegen Corona wirkt, hat sich dann doch bald rumgesprochen. Inzwischen machen die Supermärkte auch hier den größten Umsatz mit Nudeln, Reis, Mehl und Sechserpackungen Milch. Während sich Großhändler und Lieferdienste freuen, deren Umsatz in die Höhe schnellt, leiden andere unter den strikten Auflagen, die die Regierung in den letzten Wochen schrittweise und sehr frühzeitig angeordnet hat.

Hotels machen dicht, weil Touristen nach der Schließung der Grenzen ausgeflogen wurden. Restaurants und Cafés müssen um 16 Uhr schließen, bevor dann um 18 Uhr die Ausgangssperre in Kraft tritt. „Wir haben alle uns möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen“, schreibt der Burger-Laden um die Ecke auf Facebook. „Aber wir können kein Nullrisiko garantieren.“ Da viele Kinder und ältere Menschen zu ihnen kämen, hätten sie sich zum Schutz der Kunden und Angestellten entschlossen, das Restaurant bis auf weiteres zu schließen. Wie es weitergehe, wissen sie nicht, denn staatliche Unterstützung gibt es bis jetzt keine. Man versuche, Lieferanten und Personal zu entschädigen.

Couscous wird jetzt rationiert

Noch dramatischer als für die Unternehmen sind die unmittelbaren Folgen der Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus für Angestellte in Niedriglohnjobs, Tagelöhner und Putzfrauen. Mehrere Firmen haben in den letzten Tagen dutzendweise Angestellte entlassen. Wer von der Hand in den Mund lebt, muss sich entweder im überfüllten Nahverkehr zur Arbeit begeben, wenn er noch eine hat, oder aber schauen, wie er an Lebensmittel kommt. Denn von dem empfohlenen Vorrat von zwei Wochen oder gar Hamsterkäufen können viele Tunesier*innen nur träumen.

In einzelnen Orten wird Couscous, eines der Grundnahrungsmittel in der tunesischen Küche, nur noch unter Aufsicht der Sicherheitskräfte ausgegeben. Anderswo fürchten Lebensmittelhändler Plünderungen, wenn es nicht schnell zu Unterstützung für die ärmsten Bevölkerungsgruppen kommt.

Sarah Mersch berichtet seit 2010 als freie Korrespondentin aus Tunis

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