Knüppel aus dem Sack

Disziplinierung Angela Merkel ist jüngst beim EU-Gipfel damit gescheitert, EU-Schuldnern das Stimmrecht zu beschneiden. Ihre Gipfelbilanz weist zudem etliche Irrtümer auf

Auf dem Brüsseler EU-Gipfel wurde ein neuer „Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität“ beschlossen und als Erfolg von Angela Merkel gefeiert. Sie wollte Vorsorge treffen, dass der deutsche Aufschwung nicht durch Pleiten in Griechenland oder Irland in Gefahr gerät, zumal der gegen Finanzspekulationen errichtete EU-Schutzwall von 750 Milliarden Euro nur bis 2013 steht. Es ist der Kanzlerin zwar nicht gelungen, Defizitländern das Stimmrecht zu entziehen, also politisch zu entmündigen. Aber der Krisenmechanismus soll die finanzielle Stabilität wahren, indem er wie der „Knüppel aus dem Sack“ auf unbotmäßige Schuldner niedersaust. Merkel deutet Stabilisierung, gegen die niemand etwas hat, als Disziplinierung, die niemand über sich ergehen lassen will. Der Ärger der meisten EU-Partner über den deutschen Vorstoß verwundert kaum, zumal er auf mehreren Irrtümern beruht. Der erste steckt in der Annahme, man könnte einen Stabilitätspakt zwischen Siegern und Verlierern im „Wettlauf der Besessenen“ um die höchste Wettbewerbsfähigkeit schließen und zugleich eine Regulierung der Märkte ablehnen. Das kann noch zu bösen Überraschungen führen. Die Finanzinstitute haben bei der jüngsten Spekulationsorgie mit immer findigeren und windigeren Innovationen jegliche Transparenz des Systems beseitigt, so dass künftige Abschreibungsverluste gar nicht bekannt sind. So manche Bank kann noch in die Bredouille geraten. Zwar ging es in diesem Jahr fast so steil nach oben, wie es ab 2007 abwärts ging. Auf neue Talfahrt sollte sich Merkel gleichwohl vorbereiten.

Der nächste Irrtum besteht in dem Glauben, ein Land könne seine Schulden abbauen, ohne dass ein anderes Land sein Vermögen antastet. Europa ist wie ein System kommunizierender Röhren, und da lassen sich die Schulden der Griechen nur verringern, wenn dies auch mit den Vermögen in Deutschland passiert. Wie kann das geschehen? Durch eine Vermögensbesteuerung, das wollen aber die schwarz-gelben Stabilitätsapostel nicht. Dann bleibt nur die Abwertung der Währung. Die wollen sie zwar auch nicht, werden ihr aber kaum entkommen, wenn sich an der bisherigen Linie nichts ändert. Es ist richtig, dass die Banken an den Kosten der Bankenrettung beteiligt werden sollen – doch es bleibt ein Fehler, den Banken zu gestatten, sich mit Hilfe der Rating Agenturen bei den Schuldnern schadlos zu halten, indem diesen hohe Zinsaufschläge aufgehalst werden. Griechenland musste im Frühjahr zehn Prozent mehr für Bankkredite zahlen als Deutschland.

Ein Irrtum ist weiter die Interpretation öffentlicher Verschuldung als Zeichen verantwortungslosen Haushaltens. Sie ist vielmehr eine Bedingung der Stabilisierung des privaten Finanzsystems. Den Banken geht es vor allem deshalb gut, da sie von der Zentralbank Geld zu sehr günstigen Konditionen erhalten, um es teuer an Staaten zu verleihen. Die müssen Kredite aufnehmen und sich verschulden, um den Banken verzocktes Eigenkapital zu ersetzen und deren Giftpapiere in einer bad bank zu entsorgen.

Der fünfte Irrtum der Kanzlerin ist fatal: Dass Europa sich widerstandslos dem deutschen Diktat beugen würde. Die Bevölkerung wird den Knüppel, mit dem die Reste des Sozialstaats traktiert werden, nicht als unvermeidlichen Sachzwang zur Stabilisierung des Euro akzeptieren. Merkel erreicht mit dem Krisenmechanismus also wenig – eines aber auf jeden Fall: eine Krise der europäischen Integration.

Die fünf Irrtümer der Angela Merkel: Wie die Kanzlerin die EU in die Krise stürztElmar Altvater über deutsche Dominanz in Europa

Elmar Altvater ist Politikwissenschaftler

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