Koalition der Vernunft

Syrien Die Suche nach einer Nachkriegsordnung nimmt Fahrt auf – ein schwaches Russland kann dabei nicht in Europas Interesse liegen
Ausgabe 34/2018
Präsident Assad kontrolliert dank iranischer und russischer Hilfe wieder große Teile des Landes
Präsident Assad kontrolliert dank iranischer und russischer Hilfe wieder große Teile des Landes

Foto: Youssef Karwashan/AFP/Getty Images

Donald Trump traf Wladimir Putin in Helsinki, Russlands Außenminister und der Generalstabschef weilten zu geheimer Mission in Berlin, Angela Merkel traf gerade den russischen Staatschef in Meseberg, Präsident Erdoğan telefonierte mit Emmanuel Macron. Am 7. September soll es ein Treffen zwischen Merkel, Macron, Putin und Erdoğan in Istanbul geben, um Wege für eine syrische Nachkriegsordnung auszuloten, notwendig wäre die allemal. Erstens geht es darum, einen Krieg zu beenden, der eine der größten humanitären Katastrophen der jüngeren Vergangenheit ist. Die Schäden summieren sich auf 334 Milliarden Euro, mehr als 350.000 Menschen wurden getötet. Zweitens musste die Hälfte der Bevölkerung fliehen, zumeist innerhalb des Landes oder in die Region. Ein kleinerer Teil kam nach Europa. Das birgt destabilisierende Gefahren für die Hauptaufnahmeländer vor Ort, aber auch für Europa. Drittens besteht die Gefahr, dass die Atommächte USA und Russland aneinandergeraten, denn beide sind in Syrien militärisch präsent. Viertens geht es darum, einen der vielen Brandherde im Nahen Osten zu löschen, bevor daraus ein Flächenbrand wird.

Die Chancen für eine Friedensregelung sind nach wie vor nicht gut, aber besser als zuvor, denn die Lage hat sich verändert. Präsident Assad kontrolliert dank iranischer und russischer Hilfe wieder große Teile des Landes. Das heißt nicht, dass die vielen bewaffneten Gruppen endgültig besiegt sind, aber er kann aus einer Position relativer Stärke verhandeln. Moskau hat seine Ziele weitgehend erreicht. Der ursprünglich von den westlichen Staaten angestrebte Regimewechsel wurde verhindert und die eigene Präsenz in Syrien behauptet. Die USA konzentrieren sich ganz auf den Kampf gegen den IS und vor allem gegen Iran. So hat Donald Trump den militärischen Beistand für die Gegner Assads durch die CIA bereits im Vorjahr eingestellt. US-Militärs stehen im Nordosten Syriens und unterstützen dort – zusammen mit französischen Spezialkräften – die kurdische YPG.

Die involvierten Regionalmächte haben mittlerweile andere Probleme. Saudi-Arabien ist tief in den von ihm selbst angestifteten Jemen-Krieg verstrickt. Riads Hauptgegner Iran wird von außen durch eine saudisch-amerikanisch-israelische Koalition unter Druck gesetzt. Die Türkei ringt mit einer Währungskrise, die sich zu einer Wirtschaftskrise auswachsen kann, hat aber ihre strategische Position in der syrischen Region Idlib gestärkt. Offen ist noch, was aus den beiden Rebellengruppen wird, die sich dort bekämpfen: die von der Türkei unterstützte Freie Syrische Armee (FSA) und die ehemalige al-Nusra-Front HTS. In letzterer sind Kämpfer aus dem Kaukasus aktiv, die Russland auf jeden Fall ausschalten will. Assads Armee geht seit Tagen militärisch gegen die HTS vor. Sollte sie auch die FSA angreifen, wäre das russisch-türkische Bündnis gefährdet.

In dieser veränderten Gemengelage versuchen nun Berlin, Paris, Moskau und Ankara, eine Konfliktregelung auszuloten. Deutschland und Frankreich wollen auf jeden Fall eine neue Massenflucht verhindern. Russland will die Ernte seines militärischen Eingreifens in Syrien einfahren und die Truppen nach Hause holen. Das Syrien-Engagement ist in Russland mittlerweile recht unbeliebt. Die türkische Währung befindet sich im Sinkflug und Erdoğan braucht dringend Unterstützung. Auf den IWF will und kann er wegen der USA nicht zurückgreifen, bleiben also Katar und die EU.

Doch geht es Deutschland und Frankreich nicht nur um Syrien. Europa kann sich weder eine Destabilisierung der Türkei noch Russlands leisten. Genau diese nehmen die USA durch ihre Sanktionspolitik aber in Kauf. Beide Länder werden zwar von Autokraten regiert, die schon für viel Ungemach gesorgt haben. Doch geht es darum, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen – man denke an die Flüchtlingsfrage, Nord Stream II, das Atomabkommen mit Iran und regionale Sicherheit – nach Lösungen für Probleme zu suchen, die alle angehen. Früher nannte man das Politik gemeinsamer Sicherheit.

Jedenfalls haben Vorbereitungen für die Nachkriegszeit Syriens begonnen. Im April fand eine Geberkonferenz in Brüssel statt, weitere werden folgen. Auch die territorialen Claims scheinen abgesteckt: im Nordosten eine kurdisch dominierte Region, westlich davon eine unter türkischem Einfluss, im Süden Sicherheitszusagen für Israel mit einem Golan frei von Iran-freundlichen Milizen. Syrien bliebe als Staat erhalten, ob und wie föderalisiert, muss sich zeigen. Die skizzierte Entwicklung entspricht einem Trend im Umgang mit Gewaltkonflikten: Ging es in den von den USA dominierten Jahren nach 1989 noch vorrangig um Machtteilung und Demokratisierung, rückt im mittlerweile angebrochenen multipolaren Zeitalter das Ziel der Stabilität in den Vordergrund. In diesen Trend fügen sich die Aktivitäten von Deutschland, Frankreich, Russland und der Türkei ein. Es ist sinnvoll, sich jenseits ideologischer Differenzen auf übereinstimmende Interessen zu konzentrieren. Die Absprachen der vier können zwar keine stabile Nachkriegsordnung für Syrien schaffen, aber den Weg dorthin erleichtern.

Hans-Georg Ehrhart ist Projektleiter am Institut für Sicherheitspolitik Hamburg

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