Koalition der Willigen

Invasion Vor 15 Jahren begann unter Führung der USA der Angriff auf den Irak. Dieser Krieg sollte auch das vereinte Europa nachhaltig verändern
Ein US-Soldat in Bagdad im April 2003
Ein US-Soldat in Bagdad im April 2003

Foto: Oleg Nikishin/Getty Images

Sie ist fast auf den Tag 15 Jahre her: Die größte Katastrophe der jüngeren Geschichte des Irak. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 begannen die USA im Verbund mit einer „Koalition der Willigen“ den Krieg gegen das diktatorische Regime Saddam Husseins. Begründung: dieser verfüge über Massenvernichtungswaffen und kooperiere mit dem internationalen Terrorismus. Weder das eine noch das andere sollte sich bewahrheiten. Mutmaßlich erdrückende Beweise der Bush-Administration über Saddams Waffendepots erwiesen sich als Fälschungen der US-Geheimdienste.

Als die US-amerikanischen Besatzungstruppen Ende 2011 abzogen, hinterließen sie ein Land, dessen Wirtschaft und Infrastruktur schwer gelitten hatten, das demoralisiert und von tiefen konfessionellen Gräben durchzogen war. Imperiale Bestrebungen der großen „Weltpolizei“ hatten unter dem alles legitimierenden Deckmantel der Demokratie und des "regime change" zu Okkupation und Fremdbestimmung geführt.

Andere Prioritäten

Gestützt wurde die damalige Intervention von einer Allianz aus 43 Staaten, die es der Regierung des Präsidenten George W. Bush ersparen wollten, allein in diesen Krieg zu ziehen. Diese Koalition, der sich vor allem Deutschland, Frankreich und Russland als Kriegskritiker verweigerten, sollte einen Riss durch Europa nach sich ziehen. Die meisten Staaten in Osteuropa, die auf der Schwelle zu EU und NATO standen oder bereits Mitglieder des Nordatlantikpaktes waren, wollten ganz bewusst auf Seiten der USA stehen. Deren Kurs zu unterstützen, wurde als eine Art Vertrauensbeweis verstanden. Es bedeutete, sich innerhalb Europas ein Maß an Unabhängigkeit zu verschaffen, das durch die transatlantische Bindung am besten zu sichern war. Dass der Angriff auf den Irak letztlich jeglicher Legitimation entbehrte und als Aggression das Völkerrecht verletzte, schien dabei nicht weiter von Belang, ließ aber kaum Zweifel, welche Prioritäten in Warschau, Prag, Riga, Talinn oder Budapest bei einer Parteinahme für die USA gesetzt wurden.

Tendenz Erosion

Die damaligen Gegensätze sollten sich fortsetzen und im darauffolgenden Jahrzehnt die Europäische Union gravierend verändern. Die Grundlagen für eine Politik des allgemeinen Konsenses wurde nachhaltig erschüttert. Wer damals zu den USA tendierte, gehört wie Polen oder Ungarn heute zum klar dissidenten Flügel der EU, wenn es um die weitere Integration, den Haushalt oder die Flüchtlingsfrage geht. Während Deutschland und Frankreich weiter für einen solidarischen Zusammenhalt der Staatenunion plädieren, schert manch osteuropäischer Partner ostentativ aus, pocht auf seine Souveränität und eigenen Interessen. Es ist eine makabre Ironie der jüngeren Geschichte, dass Länder, die Invasion und Besatzung im Irak mit zu verantworten haben, Flüchtlinge aus dem Irak nicht aufnehmen wollen. Wenn Menschen vor Not, Verfolgung und den Verbrechen des IS fliehen müssen, ist das auch eine Konsequenz des vor 15 Jahresn begonnenen Krieges und der Zeit danach. Wer dabei Schuld auf sich geladen hat, der sollte in der Hilfe für Geflüchtete eine Chance für Sühne und Wiedergutmachung sehen. Nichts dergleichen geschieht.

Längst ist die EU keine Solidaritätsgemeinschaft mehr. Wie das berühmte Kartenhaus fällt sie immer weiter in sich zusammen. Jede Krise zeigt aufs Neue, welche Grenzen ihr gesetzt sind. Der allgemeine Rechtsruck, wo auch immer er herkommen mag, stellt eine fundamentale Gefahr für ihr Bestehen dar. Ein vereintes Europa ist wichtig aus kulturellen, politischen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen. Ein funktionierendes Europa, das sich tatsächlich um die Belange und Probleme seiner Mitgliedsstaaten kümmert, könnte ein Vorbild für gemeinschaftliches Handeln sein. Doch kommt dies mit den vorherrschenden Denkweisen und vorhandenen Strukturen zusehends abhanden. Eine der Ursachen dieser Erosion muss im Frühjahr 2003 gesucht werden, als die Frage nach Krieg oder Frieden, nach einer Kollaboration mit den USA oder der Distanz zu deren Interventionsmus, nach Verbrechen oder Vernunft das vereinte Europa auseinandertrieb.

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