Sie ist fast auf den Tag 15 Jahre her: Die größte Katastrophe der jüngeren Geschichte des Irak. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 begannen die USA im Verbund mit einer „Koalition der Willigen“ den Krieg gegen das diktatorische Regime Saddam Husseins. Begründung: dieser verfüge über Massenvernichtungswaffen und kooperiere mit dem internationalen Terrorismus. Weder das eine noch das andere sollte sich bewahrheiten. Mutmaßlich erdrückende Beweise der Bush-Administration über Saddams Waffendepots erwiesen sich als Fälschungen der US-Geheimdienste.
Als die US-amerikanischen Besatzungstruppen Ende 2011 abzogen, hinterließen sie ein Land, dessen Wirtschaft und Infrastruktur schwer gelitten hatten, das demoralisiert und von tiefen konfessionellen Gräben durchzogen war. Imperiale Bestrebungen der großen „Weltpolizei“ hatten unter dem alles legitimierenden Deckmantel der Demokratie und des "regime change" zu Okkupation und Fremdbestimmung geführt.
Andere Prioritäten
Gestützt wurde die damalige Intervention von einer Allianz aus 43 Staaten, die es der Regierung des Präsidenten George W. Bush ersparen wollten, allein in diesen Krieg zu ziehen. Diese Koalition, der sich vor allem Deutschland, Frankreich und Russland als Kriegskritiker verweigerten, sollte einen Riss durch Europa nach sich ziehen. Die meisten Staaten in Osteuropa, die auf der Schwelle zu EU und NATO standen oder bereits Mitglieder des Nordatlantikpaktes waren, wollten ganz bewusst auf Seiten der USA stehen. Deren Kurs zu unterstützen, wurde als eine Art Vertrauensbeweis verstanden. Es bedeutete, sich innerhalb Europas ein Maß an Unabhängigkeit zu verschaffen, das durch die transatlantische Bindung am besten zu sichern war. Dass der Angriff auf den Irak letztlich jeglicher Legitimation entbehrte und als Aggression das Völkerrecht verletzte, schien dabei nicht weiter von Belang, ließ aber kaum Zweifel, welche Prioritäten in Warschau, Prag, Riga, Talinn oder Budapest bei einer Parteinahme für die USA gesetzt wurden.
Tendenz Erosion
Die damaligen Gegensätze sollten sich fortsetzen und im darauffolgenden Jahrzehnt die Europäische Union gravierend verändern. Die Grundlagen für eine Politik des allgemeinen Konsenses wurde nachhaltig erschüttert. Wer damals zu den USA tendierte, gehört wie Polen oder Ungarn heute zum klar dissidenten Flügel der EU, wenn es um die weitere Integration, den Haushalt oder die Flüchtlingsfrage geht. Während Deutschland und Frankreich weiter für einen solidarischen Zusammenhalt der Staatenunion plädieren, schert manch osteuropäischer Partner ostentativ aus, pocht auf seine Souveränität und eigenen Interessen. Es ist eine makabre Ironie der jüngeren Geschichte, dass Länder, die Invasion und Besatzung im Irak mit zu verantworten haben, Flüchtlinge aus dem Irak nicht aufnehmen wollen. Wenn Menschen vor Not, Verfolgung und den Verbrechen des IS fliehen müssen, ist das auch eine Konsequenz des vor 15 Jahresn begonnenen Krieges und der Zeit danach. Wer dabei Schuld auf sich geladen hat, der sollte in der Hilfe für Geflüchtete eine Chance für Sühne und Wiedergutmachung sehen. Nichts dergleichen geschieht.
Längst ist die EU keine Solidaritätsgemeinschaft mehr. Wie das berühmte Kartenhaus fällt sie immer weiter in sich zusammen. Jede Krise zeigt aufs Neue, welche Grenzen ihr gesetzt sind. Der allgemeine Rechtsruck, wo auch immer er herkommen mag, stellt eine fundamentale Gefahr für ihr Bestehen dar. Ein vereintes Europa ist wichtig aus kulturellen, politischen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen. Ein funktionierendes Europa, das sich tatsächlich um die Belange und Probleme seiner Mitgliedsstaaten kümmert, könnte ein Vorbild für gemeinschaftliches Handeln sein. Doch kommt dies mit den vorherrschenden Denkweisen und vorhandenen Strukturen zusehends abhanden. Eine der Ursachen dieser Erosion muss im Frühjahr 2003 gesucht werden, als die Frage nach Krieg oder Frieden, nach einer Kollaboration mit den USA oder der Distanz zu deren Interventionsmus, nach Verbrechen oder Vernunft das vereinte Europa auseinandertrieb.
Kommentare 6
a) wer hats geschrieben?
b)damalige verweigerung der us-kriegs-komplizen-schaft
und heutige europa-probleme - wirk-lich ein bedeutender zusammenhang?
Zu a): Unser Fehler, denkzone8. Danke für den Hinweis. Jetzt steht der Autor dabei.
»Diese Koalition [der Willigen], der sich vor allem Deutschland, Frankreich und Russland als Kriegskritiker verweigerten, sollte einen Riss durch Europa nach sich ziehen.«
Ich bin mir da nicht so sicher, ob Sie recht haben.
Zumindest Deutschland hatte da doch bereits seinen systemtreuen Einstand gegeben und mit seiner Beteiligung am völkerrechtswidrigen Kosovokrieg seine friedenspolitische Unschuld verloren. Es waren Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Joschka Fischer, die 1999 maßgeblich die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Kosovokrieg betrieben, wodurch erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt wieder deutsche Soldaten an einem Krieg beteiligt waren. – Ein Novum, das unrühmlicher nicht sein könnte. – Die Drei organisierten den deutschen Tabubruch und wurden so zu Wegbereitern zukünftiger völkerrechtswidriger Angriffskriege unterschiedlicher „Coalitions Of The Willing“ der westlichen Wertegemeinschaft!
Was Schröder und Fischer letztlich dazu brachte, auf eine Teilnahme am ebenfalls völkerrechtswidrigen Irakkrieg zu verzichten, hat sicher nichts mit der Gesinnung von Political Correctness zu tun. Vielleicht hing das mit der Bundestagswahl 2002 zusammen, die einem Kriegstreiber das Siegen erschwert hätte.
Devot hatte das Trio Infernal die Bundesrepublik zudem doch auch am Afghanistankrieg seit 2001 beteiligt.
Die „Coalition Of The Willing“ wurde schließlich durch die „Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat“ ersetzt. Und siehe da, Deutschland und Frankreich gehören sogar zu den Gründungsmitgliedern. Reunited again!
Das solidarische Supranationale Angriffsbündnis der westlichen Wertegemeinschaft bricht das Völkerrecht weiterhin!
Am Irakkrieg der „Coalition Of The Willing“ 2003 beteiligten sich folgende EU-Staaten: Bulgarien, Dänemark, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.
Der „Internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat“ seit September 2014 gehören folgende EU-Staaten an: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Zypern.
Brothers Arms also! Nicht umsonst verweist Ursula von der Leyen auf das "stärkste Militärbündnis der Welt", die NATO.
Also – ich behaupte mal, nichts fördert ihre Solidarität mehr als der (vor allem völkerrechtswidrige) Krieg, für den sie ihre Kriegsarmeen, ihr Kriegsequipment und ihr Kriegsgeld zusammenlegen. Treu und brav erhöhen sie ihre Kriegsetats nach den Anweisungen des Mannes mit dem größeren Atom-Einschalthebel der Welt.
… Und versagen erbärmlich, und da gebe ich Ihnen recht, auf der ganzen Linie, wenn es z. B. um die von ihnen selbst „produzierten“ Flüchtlinge geht, um die Ausgestaltung einer EU der Bürgerinnen und Bürger.
Zusammenfassung: Die militärische Kooperation zur notfalls völkerrechtswidrigen Durchsetzung westlicher Interventionspolitik klappt prächtig. Die Gestaltung eines politischen Europas der Bürgerinnen und Bürger ist hoch defizitär. – Insofern haben sie Recht.
Korrektur: Brothers In Arms also!
Wir haben uns nicht verweigert. Deutschland zahlte den USA 16 Milliarden Euro als Kriegsbeteiligung.
Na bitte. – Sagte ich es doch: Brothers In Arms!
Einigkeit wie selten. Die (noch) 28 Staaten der EU stellen sich im Fall Skripal entschieden an die Seite Großbritanniens. Es gebe "keine andere plausible Erklärung" als eine Verantwortung Russlands, stellten die Staats- und Regierungschefs der EU unisono nun in ihrer Gipfelerklärung fest. – Und sie rufen ihren Botschafter aus Moskau für Konsultationen zurück.
"Angesichts dieser gravierenden Herausforderung für unsere gemeinsame Sicherheit stehen wir in uneingeschränkter Solidarität zum Vereinigten Königreich", gelobten die Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung.
"Wir sind entschlossen durch diese Sprache, aber auch gegebenenfalls durch weitere Maßnahmen einheitlich zu reagieren", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Zuvor hatten sich Deutschland, Frankreich und die USA bereits hinter Großbritannien gestellt und mit ungewöhnlich scharfen Worten von Moskau Aufklärung verlangt. „Es handelt sich um einen Übergriff gegen die Souveränität des Vereinigten Königreichs“, befanden die Staats- und Regierungschefs aller vier Länder am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung. „Ein solches Vorgehen verletzt eindeutig die Bestimmungen des Chemiewaffenübereinkommens und das Völkerrecht. Es bedroht unser aller Sicherheit.“
Großbritannien habe seinen Partnern gegenüber im Detail dargelegt, dass Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung für den Anschlag trage. „Wir teilen die Einschätzung des Vereinigten Königreichs, dass es keine plausible alternative Erklärung gibt“, schreiben Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Donald Trump und die britische Premierministerin Theresa May.
Die neue Metapher ist ausgegeben: Russland will den Westen destabilisieren. – So tönt es auch in den devoten Systemmedien. Etwa bei Stefan Kornelius mit seinem unsäglichen Video-Clip „Russland will den Westen destabilisieren“.
Man reibt sich verwundert die Augen, was uns der westliche politisch-mediale Komplex hier auftischt. Das sollen wir glauben? Wir sollen uns einer Aneinanderreihung von Mutmaßungen und Verschwörungstheorien anschließen und Russland vorverurteilen? Ohne dass ein einziges tatsächliches Ergebnis auf dem Tisch liegt, eine tatsächliche Untersuchung überhaupt richtig angefangen hätte?
Von der Untersuchung zur Verurteilung ist es in der Regel ein langer Weg. Der westliche politisch-mediale Komplex dreht den Weg um: Er verurteilt erst und untersucht dann. Und lässt die Untersuchung dann im Sande verlaufen. Es geht um den Spin, nicht um die Fakten. Wie beispielsweise beim Absturz von MH17 über der Ukraine.