Kohl und Köhler

Wer ist schuld an der Ost-Misere Sensationelles Geständnis vom "Kanzler der Einheit"

Tut ihm leid, war ja nur so eine Idee von ihm. Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, hatte sorgfältig abgeschirmt von den Menschen, die ihm einst zujubelten, seinen Wahlkampf-Auftritt in Strausberg für die brandenburgische CDU. Das mit den "blühenden Landschaften" habe er doch nur in der Euphorie der Wendezeit gesagt, erklärte er seinem gut sortierten Publikum.

Doch der Spiegel, der mit Kohl war ("Über ihm baumelten Luftballons, vor ihm saßen gut 300 handverlesene Gäste"), unterschlug die eigentliche Information. Sie hätte der Titelgeschichte über ein "Jammertal Ost", die der Spiegel dieser Woche zwecks Förderung der Hartz-Gesetze veröffentlichte, eine andere Wendung geben müssen. Helmut Kohl legte ein sensationelles Geständnis ab, er gab der westdeutschen Industrie eine Mitschuld an der wirtschaftlichen Misere im Osten, ja er warf ihr Sabotage vor: "Es gab auch im Westen in führenden Industriepositionen Leute, die kein Interesse daran hatten, dass sich die Betriebe in der DDR entwickelten", sagte er. Stattdessen hätten manche Konzernlenker nur Interesse an den 17 Millionen Konsumenten in der Ex-DDR gehabt. Produktionskapazitäten brauchten sie nicht, weil es die im Überfluss gab.

Natürlich hatte Kohl das schon damals mitbekommen. "Ganz blöd waren wir nicht - ich auch nicht", meinte er in Strausberg. "Wenn Sie ganz blöd sind, können Sie sich nicht 16 Jahre in dem Amt halten."

Kohls Strausberger Geständnis bietet die nachgelieferte Basis zu dem Umbau des Grundgesetzes, den Horst Köhler jüngst per Interview in Focus angeregt hatte. Als Kohls Staatssekretär während der Wiederherstellung Deutschlands Anfang der neunziger Jahre hat Köhler - er saß im maßgebenden Finanzministerium - alles miterlebt und fast alles mitgemacht. Nur einmal zuckte er - damals - zurück: als Treuhand-Chefin Birgit Breuel die Verlängerung des Persilscheins verlangte, der sie und ihre Führungsriege zur gröblichen Außerachtlassung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfalt beim Abbau der DDR-Industrie ermächtigte. Freistellung von der "Haftung für grobe Fahrlässigkeit" nannte sich das. Die "Pionierzeit" der Treuhand sei doch inzwischen überwunden, schrieb ihr der damalige Staatssekretär Horst Köhler. Einfache statt gröbliche Vernachlässigung der Sorgfalt genüge doch auch, meinte er damals. Und das war richtig.

Im Ergebnis kam es auf dasselbe heraus. Die Idee der Treuhand - die Regierung Modrow wollte die "volkseigene" Industrie tatsächlich in Form von Anteilsscheinen für jeden einzelnen in die Hände des Volkes überführen - war von den westdeutschen Eroberern ins Gegenteil verkehrt worden.

Diese sorgfältig und gewissenhaft hergestellte Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse muss jetzt endlich im Zuge der Hartz-Reformen festgeschrieben werden. Dass es dabei nicht einfach nur um eine Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland geht, hat Horst Köhler, der seit seiner Zeit als Staatssekretär wertvolle Erfahrung als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) sammelte, ausdrücklich unterstrichen. Es ist ebenso ein Problem zwischen Nord und Süd, wie die vom IWF herbeigeführte radikale Verarmung Argentiniens oder Perus beweist. Ja, es ist nicht ein Problem der Himmelsrichtung, es ist ein Problem von oben und unten. Und die im Osten sind nun einmal fast alle unten.

Das ist Horst Köhlers Verdienst um dieses Land: Er hat die Verfassungsidee von einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hinweggefegt zugunsten des strengen Gebots der Ungleichwertigkeit aller Lebensverhältnisse. Wer sein Land liebt - "Ich liebe Deutschland" sagte Horst Köhler bei seiner Wahl im Mai - der züchtigt es. Zum Segen aller, die oben leben.


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