Kokette Verstiegenheit

Ukraine Wahlsieger Selenskyj wird es schwer haben. Seine wahren Feinde sitzen außerhalb des Parlaments
Ausgabe 30/2019
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während einer Pressekonferenz Ende Juli
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während einer Pressekonferenz Ende Juli

Foto: Sergei Supinsky/AFP/Getty Images

Gilt das französische Raster, wird aus der Partei „Diener des Volkes“ womöglich ein „Diener des Präsidenten“. Unter Emmanuel Macron fristet die präsidentielle Hausmacht La République en Marche das Dasein eines parlamentarischen Platzhalters und Ausputzers. Wie Wolodymyr Selenskyj mit seiner unter ähnlichen Umständen entstandenen Gefolgschaft und deren absoluter Mehrheit in der Kiewer Rada umgeht, wird sich zeigen. Sie soll ihm den Rücken freihalten. Muss sie aber nicht unbedingt. Die entscheidenden Gegenspieler dieses Präsidenten finden sich dort, wo der Rayon des Parlaments endet. Sie sind mächtiger und wirkungsvoller als sämtliche Oppositionsparteien zusammen. Egal, ob es sich um die korrupten Seilschaften von Oligarchen handelt oder bedenkliche ökonomische Kennziffern. Eine Inflationsrate von zehn Prozent, dazu Auslandsschulden von 115 Milliarden Dollar verheißen kein Ende des sozialen Kahlschlags, sooft dies Selenskyj auch verspricht. Schon zeichnet sich ab, dass mit dem Winter die Energiepreise nochmals steigen.

Gegner Selenskyjs ist nicht minder die fixe Idee vom beschleunigten Zugang zu EU und NATO. Oder das Vertrauen auf Kanzlerin Merkel, die sich mit ihrem Protegé Poroschenko jahrelang gründlich verrechnet hat. Seit 2014 wurde der 15-mal in Berlin empfangen und war doch zu Hause längst gescheitert. Ein überzogenes Urteil? Poroschenkos Partei „Europäische Solidarität“ wurde bei der jetzigen Parlamentswahl mit acht Prozent noch weiter nach unten durchgereicht als deren Mentor beim Präsidentenvotum zuvor mit 24 Prozent. Die auf das Feindbild Russland eingeschworenen Maidan-Erben haben unter Mitwirkung Deutschlands derart abgewirtschaftet, dass die Ukrainer nicht mehr (Wahlbeteiligung am Sonntag: 49,8 Prozent) oder alles wählen, was für sie unverbraucht und unbelastet ist – die nächste Bürde für Selenskyj, die ihm ebenso zum Nachteil gereichen kann wie jene kokette Verstiegenheit, die ihn laut darüber nachdenken lässt, den Rocksänger Swjatoslaw Vakartschuk (Partei „Stimme“) als Premier zu nominieren, um anzufügen, „eine Person mit wirtschaftlicher Kompetenz“ könne es auch sein. Und die wird sich finden. So viele Absolventen angelsächsischer Eliteuniversitäten hat ein ukrainisches Parlament noch nie gesehen.

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