Wie kann man das nur aushalten: Flüsse trocknen aus, Städte werden überschwemmt – die Klimakatastrophe verschärft sich jedes Jahr. Wer sich wehrt, erlebt den Kampf wie kleine Tropfen auf riesige, heiße Steine. Ein Gefühl der Ohnmacht in einem riesigen Räderwerk. Ja, wie hält man das aus?
Das Kollektiv „Zucker im Tank“ hat mit trotzigem Optimismus ein Buch herausgegeben, das Mut macht, ohne schönzureden: Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie. Ein schwieriger, jedoch gelungener Spagat.
Denn die gute Nachricht ist: Aktivismus wirkt. Als in den 1980ern im bayrischen Wackersdorf eine nukleare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) gebaut werden soll, besetzen Menschen den Bauplatz, werden Zäune kaputt gemacht, Großdemonstrationen organisiert und unter dem Motto „Hau weg den Scheiß“ 150 Strommasten zerstört. Die WAA wird nicht gebaut.
Oder: der Hambacher Forst, der wegen darunterliegender Kohle gerodet werden soll. Acht Jahre nach der ersten Besetzung steht fest, dass der Hambacher Forst nicht gerodet wird. Fünf von sechs umliegenden Dörfern, die ebenfalls abgerissen werden sollten, gelten heute als gerettet.
Solche und andere Geschichten sind auf gut 400 Seiten beschrieben. Viele davon sind auch Geschichten des Scheiterns. Das Buch ist keine Revolutionsromantik, sondern eine selbstkritische Analyse der jüngsten und aktuellen Bewegungen: Was funktioniert, was nicht, und warum? Das Offensichtlichste: Scheitern heißt lernen. Es braucht einen langen Atem, durch Höhen und schmerzhafte Tiefen, über Jahre hinweg. Meistens hilft der Anschluss an eine breitere Öffentlichkeit – womit es viele Linke und Klimaaktivist*innen nicht immer leicht haben. Und es braucht eine Vielfalt an „Taktiken“, die parallel stattfinden.
So wird auch jene Frage berührt, die die Klimabewegung zuletzt intensiv diskutiert hat: die der Sabotage. Dazu liefert das Buch kein klares Ja oder Nein, sondern fordert situationsbedingten Pragmatismus. Wenn Sabotage, muss sie nachvollziehbar und situativ gerechtfertigt sein. Ziviler Ungehorsam, der ohne Sachbeschädigung vorgeht, kann oft mehr öffentliche Sympathie erreichen. Tritt er zu harmlos auf, wird er manchmal allerdings ignoriert. „Die Mischung macht’s“, heißt es an einer Stelle.
Wie es sich für ein anarchistisches Kollektiv gehört, gibt es keine Namen, sondern anonyme, sehr unterschiedliche Ich- oder Wir-Erzähler*innen sowie Interviews. Dabei werden auch Einblicke hinter die Aktionskulissen geboten: die Schlafplatz-Orga im Klima-Camp, der Aufenthalt im Knast, Bildungsarbeit und immer auch interne Kritik, etwa der Bericht aus dem Rollstuhl über nicht ganz so barrierefrei organisierten Protest. „Exkurse“, in denen etwa der Zusammenhang zwischen Klimagerechtigkeit und Kolonialismus erklärt wird.
Vornehmlich richtet sich das Buch an die eigene Szene: an Klimaaktivist*innen und solche, die es werden wollen. Darüber hinaus bemühen die Herausgeber*innen sich um Anschlussfähigkeit. Es gibt ein Glossar, in dem szenetypische Wörter („Deli-Plenum“, „Finger“, „Küfa“, „Cis-Gender“) oder rein technische Begriffe aus der Aktion („Lock-Ons“, „Tripod“) erklärt werden. Manchen Autor*innen gelingt die Verständlichkeit für Menschen außerhalb der eigenen „Bubble“ besser als anderen.
Nicht zuletzt lohnt sich das Buch aus politikwissenschaftlicher Perspektive. Denn es ist eine bemerkenswerte Dokumentation der Entwicklungen von Klimaprotest und liefert Analysen über die Wechselwirkung zwischen Politik und sozialen Bewegungen. Viele Philosoph*innen haben versucht, die Hebel und Mechanismen dieser Wechselwirkungen zu fassen. Hier sprechen jene, die direkt beteiligt sind.
Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie Zucker im Tank (Hg.), Assoziation A 2022, 416 S., mit zahlreichen Fotos, 19,80 €
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