Kollektive Hysterie

ITALIEN/ NATO Admiral Guido Venturoni, Vorsitzender des Military Committee im Nordatlantikpakt, über die Uran-Debatte in Italien

An Warnungen der eigenen Militärs gegenüber der italienischen Regierung fehlt es nicht. "Bei einer so dramatischen und delikaten Frage" - so Admiral Venturoni, ranghöchster Vertreter des Landes bei der NATO, im Interview mit der Zeitung La Repubblica - "setzt das politische Entscheidungssystem seine Fähigkeit aufs Spiel, in der Organisation zu bleiben, die für 50 Jahre die Sicherheit Europas garantiert hat und sich darauf vorbereitet, Sicherheitspolitik in einem noch viel größeren Gebiet zu betreiben." Wir dokumentieren Ausschnitte dieses Gesprächs.

LA REPUBBLICA: Verteidigungsminister Mattarella hat sich unduldsam gezeigt wegen der verspäteten Informationen über das in Bosnien verwandte abgereicherte Uran.

GUIDO VENTURONI: Meiner Meinung nach ist diese Polemik "Wann wurde es bekannt?" eine falsche, die instrumentalisiert wird oder schlicht schon Wahlkampf ist. 1995 war abgereichertes Uran kein Problem: Warum sollte auch jemand besonders den Einsatz dieser Projektile hervorheben? Das wäre ein wahnsinniger Widerspruch gewesen. Das Problem besteht heute. Es wird ein schwieriger Klärungsprozess für die NATO, Italien und die anderen Mitgliedsstaaten, aber wir müssen mit Ausgewogenheit und Weisheit vorgehen.

Entschuldigung, aber warum Vorsicht, Weisheit ...? Warum keine Eile und schnelle Entscheidungen, um zu kapieren, warum acht Italiener gestorben sind, nachdem sie auf dem Balkan waren?

Zum jetzigen Zeitpunkt sage ich Ihnen, dass die wissenschaftliche Literatur, unsere Untersuchungen, alle Prüfungen seitens der NATO nur eins ergeben: Die Munition mit abgereichertem Uran stellt keine anderes Risiko dar als andere Waffen. Die NATO, die US-Regierung, die Gesetze dieser Welt sagen uns, dass diese Waffen legal und nicht verboten sind. Ich will nur sagen, dass Regierungen, Streitkräfte, die Allianz bis heute die Gefahren abgereicherten Urans niedriger einschätzen als die durch Minen oder Blindgänger.

Sie sprachen von einer politischen Instrumentalisierung des Themas in Italien - inwiefern?

Ich sehe eine gefährliche Tendenz: Eine skandalträchtige und oberflächliche Art, Sensationsmache zu betreiben, zum Teil auch in den seriösesten Blättern. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass viele Zeitungen dennoch versuchen, einseitige Kampagnen zu vermeiden. Die Politik hat nicht dasselbe Verantwortungsbewusstsein wie die Medien. Italien erlebt Monate des Vorwahlkampfs. Ich kann verstehen, dass Politiker da mit Hast und Härte reagieren. Aber die Parteien dürfen mit ihren Polemiken nicht die Standhaftigkeit des Landes beeinträchtigen (...). Ich denke dabei auch an Parteien mit Regierungsverantwortung - sie greifen die NATO und die USA an, als ob diese die Feinde einer Regierung wären, die doch ihr Alliierter ist. Die Allianz existiert nicht als autonome Organisation. Wenn wir sie angreifen, greifen wir uns selbst an.

Ihre Forderung bedeutet, die Debatte in Italien dem Wohl der NATO zu opfern.

Nein, es ist der bescheidene Hinweis eines internationalen Funktionärs, der das italienische System kennt, weil er italienischer Staatsbürger ist. Die Wahrheit über das abgereicherte Uran muss herauskommen, aber mit einer harten, entschiedenen politischen Aktion, indem man mit Korrektheit die Arbeit der wissenschaftlichen Kommissionen unterstützt und (...) so kollektive Hysterie verhindert. Eine chaotische Lenkung dieser Angelegenheit würde uns international schweren Schaden zufügen, weil Italien nicht kapiert hätte, was die NATO ist und was Sensibilität in den internationalen Beziehungen bedeutet.

Übersetzung: Cyrus Salimi-Asl

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