Long live the Clitoris“, fordert Dorothy Iannone in einem ihrer Gemälde, das zur Zeit in der Berlinischen Galerie zu sehen ist. Das Haus widmet der 1936 geborenen US-Künstlerin, die seit 40 Jahren in Berlin lebt, eine umfassende Retrospektive. Bereits am Eingang werden die Besucher von den Inhalten ihrer Werke gewarnt, die in der Vergangenheit Gegenstand der Zensur waren. Doch wer eine pornografische Version der Vagina-Monologe erwartet, wird enttäuscht. Iannones kopulierende Körper sind schablonenhafte Metaphern einer mystisch angehauchten, universellen Liebe. Die entsteht, wenn sich zwei divergierende Pole – wie Mann und Frau – zu einem universellen Ganzen vereinen, das jegliche Differenzen überwindet.
Die Vereinigung zweier Gegensätze ist I
;tze ist Inhalt wie Methode ihres Œuvres. Anfänglich stehen textbasierte, gegenständliche Collagen neben abstrakter Malerei. Deutlich ist den frühen Werken ein Suchen und Tasten nach Formen und Inhalten auf Leinwand und Papier abzulesen. Mitte der Sechziger verwebt Iannone beide Pole – das Gegenständliche der Sprache und die abstrakte Form als Ornament – zu ihrem unverwechselbaren Stil. Aus den bunten All-over-Strukturen lösen sich menschliche Umrisse heraus, die künftigen Protagonisten ihrer opulenten Bilderzählungen.Ornament und Femen„Love is My Inspiration“ lautet ein Werktitel und dieses kitschige Bekenntnis muss als ernsthaftes Credo ihres Schaffens gelesen werden. Es ist gleichzeitig ein starkes Zeugnis der Dekade, in der diese Arbeiten entstehen: der Zeit der Hippie-Bewegung, des Summer of Love mit der Forderung nach geistiger und sexueller Emanzipation und freier Liebe. Iannones Werk ist einerseits von der Flower-Power-Ästhetik ihrer Generation geprägt und gleichzeitig stark autobiografisch verankert. Ihre eigenen Liebesbeziehungen werden zu einem Hauptmotiv. 1967 lernt sie auf einer Reise mit ihrem damaligen Ehemann nach Island den Künstler Dieter Roth kennen. Sie werden ein Liebespaar. Iannone nennt Roth ihre Muse. Zahlreiche Werke in der Ausstellung bezeugen, mal mehr, mal weniger offensichtlich, ihr Zusammensein.Das Bild At Home aus dem Jahr 1969 gibt einen detaillierten Einblick in das Innere eines Hauses. Iannone verschränkt verschiedene Perspektiven, schenkt dem Ornament genauso viel Beachtung wie dem Gegenstand und kreiert so eine umfassende Kartografie des Interieurs, das selbst einem bunten Flickenteppich ähnelt. Das Haus wird von einem Paar bewohnt, dem wir beim Liebesspiel oder auch beim Schreiben ihrer Korrespondenz zuschauen. Beides erledigen sie nackt. Wie überhaupt alle Bilder Iannones bevölkert sind von Frauen und Männern, die ihre Differenz offen nach außen tragen. Ihre Attribute sind ihre markanten Geschlechtsorgane. Mit ihnen und unter Verwendung von Sprache, die Iannone ihren Figuren wie Tätowierungen auf den Körper schreibt, vollziehen sie ihre Kommunikation als lustvollen Geschlechtsakt. Alle Varianten der Liebe sind zugelassen. Gleich zu Anfang der Ausstellung zeugt davon eine zehnteilige Gemäl-deserie, auf der Paare in unterschiedlichsten Posen einander verschiedene Liebesdienste erweisen. Textzusätze wie „Let me Squeeze your Fat Cunt“ und „Suck my Breasts, I’m Your Beautiful Mother“ zeigen, dass Iannone auch vor den Mund kein Blatt nimmt.Laut und deutlich artikuliert sie ihre Meinung auch 1970 mit dem bildfüllenden Slogan The Next Great Moment in History Is Ours über einer barbusigen Heldin mit gestreckter Faust. Unweigerlich erinnert diese Szene heute an die Methoden der Femen-Aktivistinnen, die mit ihren nackten Brüsten in den Medien für die Gleichstellung der Frau kämpfen. Doch welche Position nimmt Dorothy Ianonne eigentlich in der Geschichte des Feminismus ein?Der Körper ist ihr nicht Kampf-, sondern vor allem Lustzone. Konflikte werden im Koitus gelöst. Iannone formuliert die Erfüllung der fleischlichen und geistigen Begierden durch sexuelle Handlungen aus der Sicht einer Frau, die Dominanz nur als eine Spielvariante kennt, derer sie sich selbst beliebig bedienen kann. Damit unterscheidet sie sich von zahlreichen künstlerischen Positionen, die den zumeist weiblichen Körper als reines Lustobjekt meist männlicher Begierden begreifen.Glaubt man ihrer Kunst, so hat sie die Gleichstellung der Geschlechter gelebt. Iannones Frauen sind allesamt starke, unabhängige Liebhaberinnen, Mütter und Göttinnen. 1972 produziert sie She’s Got Everything She Needs. Die weibliche Figur, die uns mit Katzenaugen anblickt, wird zeitgleich von einem Mann befriedigt. Im Bild lesen wir den Zusatz, diese Frau sei eine Künstlerin. Der orgastische Augenblick enthebt sie der Zeit, so wie es der Ausstellungstitel This Sweetness Outside of Time verspricht. Dieser im Künstlerleben verankerte, zeitlose Universalismus, der jede menschliche Beziehung poetisiert und abstrahiert, unterscheidet Iannones Werk von vielen feministischen Positionen. Mitunter wirkt die überpräsente Nacktheit und Betonung des Körperlichen in ihren Werken redundant und erzielt den gegenteiligen Effekt der Verführung: Mit jeder Wiederholung schwindet der Reiz.