Konfliktbewusst experimentieren

Italien Francesco Raparelli, Aktivist der Bewegung der "Disobbedienti", über die Absichten, das Forum zu spalten

FREITAG: Innenminister Giuseppe Pisanu hatte vor dem Forum im Parlament erklärt, dass es - gemäß Paragraph zwei des Schengener Abkommens - "aus Gründen der öffentlichen Ordnung" strenge Kontrollen für die Teilnehmer an den Grenzen geben sollte. Wie wird darauf reagiert? FRANCESCO RAPARELLI: Das Europäische Sozialforum hat auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass Parlamentarier, die dem Forum nahe stehen - also Politiker von Rifondazione Comunista und den Grünen - in diesen Tagen an den Grenzen sind, um zu sehen, was wirklich geschieht. Sie verschaffen sich einen Eindruck davon, ob die Grenzen Orte des Konflikts sind.

Pisanu hat auch erklärt, die Stadt Florenz sei "nicht geeignet für das ESF". Wie ist diese Aussage zu bewerten?
Es geht Pisanu eindeutig darum, einen Bruch innerhalb des Forums zu provozieren. Er teilt das Forum in Moderate und Radikale - letzteres seien die Ungehorsamen (Disobbedienti), die innerhalb des Forums und für die öffentliche Ordnung der Stadt ein Risiko darstellen. Innerhalb der Partei der Linksdemokraten (DS) verschärfte sich dadurch der Konflikt um das Forum. Denn die starke Strömung "correntone" innerhalb der DS setzt in Zusammenarbeit mit dem Gewerkschaftsverband CGIL und dem Europäischen Gewerkschaftsbund klar auf das Forum. Die Strömung um Parteichef D´Alema hingegen will am liebsten gar kein Forum und hat in dieser Hinsicht vor einigen Wochen die eigene Position in der Leitung durchgeboxt. Leonardo Domenici, der DS-Bürgermeister von Florenz, betont weiter, Florenz sei eine "offene Stadt", man müsse sehen, "wie das Forum durchgeführt werden kann". Das zielte darauf, die linkeren Komponenten der Bewegung aus dem Forum herauszuspalten.

Und wie haben die linken Kräfte der Bewegung reagiert?
Auf einer Pressekonferenz haben Mitglieder der Disobbedienti verkündet, die Breite der Bewegung, die moderate und radikale Teile beinhalte, stelle die Matrix der Bewegung dar und das werde auch so bleiben.

Wie stehen die Ungehorsamen, die Disobbedienti, überhaupt zum Forum?
Wir sind massiv dabei. Wir wollen Teil des Europäischen Sozialforums sein und zwar in radikaler und konfliktbewusster Weise. Deshalb stehen wir nicht etwa außerhalb des Forums, gerade das wäre ja eine Position, die denen nutzt, die eine Teilung des Forums wollen. Wem würde denn eine freiwillige Trennung vom offiziellen Forum nützen? Es würde dem Versuch nützen, das Forum zu polarisieren - auf der einen Seite "moderate und gewaltfreie", auf der anderen "gewalttätige" Teile. Es sieht dann so aus, als seien im Forum jene, die eben den Stand der Bewegung darstellen, wodurch diejenigen, die außerhalb stehen, der Repression und Kriminalisierung aufgrund ihrer vermeintlich gewaltförmigen Praxis ausgesetzt wären. Daher sagen wir, wir sind im Forum, wir durchqueren es in konfliktiver Weise. Das bedeutet es geht uns nicht darum, Konferenzen abzuhalten, um einige Themen bezüglich der Ungerechtigkeit der Welt auf die Tagesordnung zu setzen. Wir wollen versuchen, eine kollektive Massendynamik in Gang zu setzen.

Wird das Forum ein Erfolg für die linkeren Teile der Bewegung?
Wir hätten es lieber in einer ganz anderen Situation organisiert als jetzt in Florenz. Wir brauchen heute den Impuls für einen neuen Zyklus globaler Kämpfe und nicht die Selbstdarstellung der Bewegung und den Aufbau eines organisatorischen Gerüsts. Wir brauchen ein offenes Experimentieren, wie denn globale Kampfzyklen in die Wege geleitet werden können, das schließt ein Experimentieren mit Praxen ein, das gegenseitige "Anstecken" unter den verschiedenen Akteuren und eine Verwurzelung in den Konflikten, in denen die Subjekte stecken.

Worin unterscheiden sich diese Ziele von denen anderer Gruppierungen?
Es geht uns nicht einfach nur um den Aufbau einer formal europäischen Bewegung. Die Gewerkschaften und Teile der Linksdemokraten hingegen bilden eine Achse mit Attac Frankreich und vielen trotzkistischen Organisationen in Europa. All diese Kräfte setzen nicht auf die Förderung von Bewegung, sondern wollen den Aufbau von politisch-personeller Repräsentanz.

Das Gespräch führte Dario Azzellini

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