Königskinder

Kommentar Steffi Graf als Mutter

Wir in Deutschland haben keine großen Dynastien. Keine Prinzessinnen wie Diana oder Caroline, keine Queen Beatrix und Silvia, keine jahrzehntelang zwangspubertär um die Krone anstehenden königlichen Erstgeborenen, nur Kleingesocks haben wir, widerspenstige Prinzen von Hannover, die gegen Expo- Pavillons pinkeln. Das ist schade. Wo denn, bitte schön, bleibt der Pomp, die repräsentable Öffentlichkeit, das große "gesellschaftliche Leben"? Die politischen Fürsten, öffentlichste Wesen unserer Demokratie, sind, mit Verlaub, weder richtig reich, noch schön, noch adelig und befriedigen nur in Spurenelementen das Bedürfnis, worum es eigentlich geht, dass wir Kleinen uns im Großen spiegeln. Mit all unseren Sorgen, Nöten, Hoffnungen, verfremdet zwar und überhöht, aber doch ganz ernsthaft finden wir uns wieder in den Romanfiguren, die das Leben schreibt, und die für eines zuständig sind: fürs Gefühl.

Deutschland hat keine Dynastien, aber klar, Deutschland hat Ersatz, Deutschland hat Steffi. Warum sich der Weltgeist hierzulande nun ausgerechnet im Tennis spiegelt - keine Ahnung. Steffi und Boris haben wir wie zwei Königskinder aufwachsen sehen, beides Ikonen von besonderer Strahlkraft, in deren Pubertätspickeln wir uns ebenso wiederfinden konnten wie in ihren Steuerfragen und Trennungsgeschichten. Steffi Grafs frühe Niederkunft nun ist seit Beginn dieser Woche nationales Großereignis. In den Gazetten sind nicht nur die kuscheligsten Bilder der jungen Mutter mit Kind zu sehen, hier werden - am Allgemeinfall Steffi sozusagen - auch gewichtige Fragen in Sachen Liebe und Kindererziehung abgehandelt: "Warum hat Jaden Gil (so heißt der Sohn) schon so volle schwarze Haare?" Antwort: "Weil er von beiden Eltern eine große Haardichte geerbt hat." Im Hintergrundbericht "Wird Steffi eine gute Mutter?" warnt die Gazette gleich vor "Liebesfallen" nach der Geburt von Kindern, die uns sehr bekannt vorkommen.

Von Steffi lernen ist die Devise, und in der Tat, das Idol vermittelt uns gar nicht so altmodische, nein nachgerade aufgeklärte Tugenden: Steffi zeigt ein Schicksal der modernen Frau - erst Karriere, dann die Kinder, alles fein der Reihe nach. Zweitens: Man kann durchaus Ausländer heiraten und Kindern komische Namen geben (75 Prozent der Bild-Leserschaft finden das o.k.). Drittens zeigt uns Steffi, dass frau zwar vor der Ehe schwanger werden, aber nicht vor ihr niederkommen sollte. Schnell, hektisch und - ach je - heimlich gaben sich Steffi und ihr Agassi das Ja-Wort, vier Tage vor der frühen Geburt. So weit geht Libertinage also nicht, dass Jaden Gil unehelich zu Welt käme. Viertens aber und wichtigstens demonstriert uns die ganze Geschichte die Macht der gewöhnlichen Vererbung. Dass aus der Verbindung von zwei Tennisspitzen hundert Prozent ein Tennisass hervorgeht, kann sich wirklich jeder selbst ausmendeln. Und so hat das gerade mal sieben Tage alte Söhnchen Graf-Agassi bereits ein Millionen-Angebot für sein erstes Turnier in der Tasche. Ihr spröden Klon-Propheten packt euch - wir wollen Gefühl, Gefühl, Gefühl.

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