Sehnsucht nach dem Authentischen Der Streit um die Editionspraxis bei den Büchern von Sebastian Haffner und Daniela Dahn offenbart ein tiefsitzendes Bedürfnis
Sebastian Haffners Geschichte eines Deutschen steht auf der nun noch präziseren, nämlich direkt von den Ladenkassen abgegriffenen Bestsellerliste des Spiegel auf Platz eins. Da steht das Büchlein schon lange. Seit es im Herbst 2000 als Sensation, als authentischer Beleg dafür gehandelt wurde, was an Hellsichtigkeit gegenüber dem heraufziehenden und -gezogenen Nationalsozialismus möglich gewesen wäre. Sein Verkauf lief wie von selbst weiter, längst nach der begeisterten Aufwallung der Feuilletons. Dort hatte man vor allem die Prophetie Haffners gepriesen, seine Voraussagen der Massenmorde insbesondere. Haffner war zeit seines Publizistenlebens stets streitbar und höchst umstritten gewesen. Sein nicht unarrogant erscheinender Konservativismus, sei
ervativismus, seine Unnachsichtigkeit mit »den Deutschen«, sein vernichtendes Urteil über die Rolle der Sozialdemokratie waren allein schon Zündstoff genug und viele von rechts wie links haben sich an ihm gerieben. Angesichts des immensen Erfolgs dieses postum erschienen Buches erscheint es darum geradezu bemerkenswert, dass das Ressentiment dagegen sich erst so spät artikuliert hat. Unlängst nämlich erst haben ein Kunsthistoriker aus Leipzig und ein westberliner Zeitgeschichtler kund getan, das könne keineswegs aus der Perspektive des Frühjahrs 1939 geschrieben, sondern müsse später, nach 1945, vielleicht sogar nach 1960 entsprechend überarbeitet worden sein. Der eine berief sich unter anderem auf Rolltreppen, die es um 1933 bei den Berliner U-Bahnen noch nicht gegeben habe, der andere unter anderem auf Haffners Einschätzungen zum Reichstagsbrand. Darauf nun folgte, was folgen mußte: Ein Hin und Her von Erklärungen, Dementis und Stellungnahmen. Derzeit sieht es so aus, als sei der Verlag mit der definitiven Festlegung auf 1939 etwas zu leichtfertig gewesen, jedenfalls allzu karg mit Erläuterungen zur Vorlage. Wahrscheinlich ist, dass Haffner tatsächlich später hier und da noch am Manuskript gefeilt hat. Vorgehabt, zeigt eine nun bekannt gewordene Tagebuchnotiz, hat er es jedenfalls. Was aber ist damit bewiesen? Bewiesen ist nur, dass Haffner der einsame Prophet, der zu sein er nie beansprucht hat, nicht war. Erwiesen bleibt, dass das Buch in seinen allergrößten und allemal wichtigsten Partien von der Zeit 1914 bis 1933 handelt, wie es sein Untertitel auch sagt, und nicht vom »Dritten Reich«. Bewiesen ist vor allem aber einmal mehr die geradezu hemmungslose Sehnsucht nach dem Authentischen, dem Originalen, Echten und durch Zeugenschaft Verbrieften. Eine unstillbare Sehnsucht ausgerechnet dort, wo es sie am wenigsten geben kann: in einer von Medien durch und durch geprägten Zeit. Es ist aber ausgerechnet diese geradezu besinnungslose Sucht nach Authentizität, von der die in den Medien Arbeitenden besonders schnell und intensiv befallen werden. Folglich ist dort der Katzenjammer ebenfalls besonders groß. Ach, immer wieder diese Enttäuschung, dass ein Held doch nicht so heldisch, ein Blick doch nicht so absolut, ein Sachverhalt doch komplizierter war. Und wie für die gekränkte Kindersehnsucht, der das entstammt, ist auch hier nichts weniger als gleich die ganze Welt schlecht. So liest man prompt das alles als Symptom und erkennt in der Zeit gar einen »neuen Revisionismus«, der die auswegslose Verstrickung aller Deutschen damals propagiere. Ebenso prompt leben von der anderen Seite die wütenden Erinnerungen daran auf, dass Haffner 1942 den Alliierten die Eliminierung der SS vorgeschlagen habe, ein »Massenmord an über 500.000 jungen Deutschen«, wie man auf einer einschlägigen Homepage erläutert bekommt. Einmal mehr, scheint es, funktioniert die Tribalisierung der Wahrheit - jeder findet das Totem und den Stamm zu dem er passt. Dabei ließe sich das durchaus - einmal mehr - als Beispielsfall dafür nehmen, dass man der konkurrierenden Beobachtung der Medien untereinander viel mehr zutrauen kann als man gemeinhin in den Medien selbst sich zutraut. Es ließe sich erkennen, wie noch immer die grellen Farben und schroffen Konturen des aufgeregten Anfangs nach und nach zu einem moderater kolorierten und facettenreicherem Bild abgearbeitet werden. Freilich taugt dann auch das Ergebnis nicht mehr so recht zur reflexhaften Meinung ...Zumindest das jedenfalls könnten diejenigen, die in den Medien arbeiten, erkennen. Täten sie das, müssten sie Ihresgleichen nicht für dümmer halten, als sie selbst es gerne sein möchten. Überhaupt zeigt die Diskussion um Haffners Buch, dass ein sachhaltig informierender Verlag die Beschädigung Haffners von vornherein hätte vermeiden können. Es zeigt darüber hinaus, wie tölpelhaft es ist, diejenigen für übertölpelbar zu halten, die doch, schon indem sie Bücher kaufen und vielleicht noch lesen, einen respektablen Respekt vor dem Intellekt zeigen. Wie dumm muss man in einem Verlag sein, wenn man meint, seine Leser nicht nach bestem Wissen informieren zu brauchen? Oder ist es bloß Faulheit? Oder Überheblichkeit? In dieser Hinsicht ist ein anderer, derzeit verhandelter Fall besonders eklatant, nämlich von geradezu dummdreister Überheblichkeit gegenüber der Zunft. Gemeint ist Rowohlt Berlins vollmundige Klappentextversicherung, die Neuausgabe der 1987 zuerst erschienenen DDR-Reportagen von Daniela Dahn Prenzlauer-Berg-Tour sei »unverändert«. Prompt musste man sich in der Presse genüsslich vorrechnen lassen, was entgegen der Gütesuggestion tatsächlich alles verändert war und wie hier Gratismut post festum die Mauer etwa plötzlich zum »monströsen Stadtmöbel« zauberte, als das sie seinerzeit wohlweislich nicht bezeichnet worden war. Die Veränderungen sind insgesamt eher kleinkariert. Daniela Dahn kann einem leid tun, wie sie nun deswegen verlegen vor den »Feuilleton-Kötern« vermeintliche Erklärungen stammeln muss. Wirklich beklagenswert aber ist die Verachtung gegenüber dem Betrieb, die aus solchem Firlefanz spricht. Welch abschätziges Bild von den ersten Lesern muss man haben, wenn man annimmt, das alles merke ohnehin keiner der Rezensenten oder Buchhändler. Welch Selbstbild offenbart sich da, welch wegwerfende Einschätzung der eigenen Arbeit gegenüber: Merkt ja eh keiner ...Oder sollte man hier doch - im Stil der Zeit - folgern müssen, die »Entlarvung« sei ganz bewusst einkalkuliert worden, weil negative Aufmerksamkeit immer noch verkaufsfördernder sei als gar keine.
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