Wenn man Turnschuhe von Nike kauft, dann steht auf dem Karton so etwas nichtssagend-bedeutungsschwangeres wie: "Engineered and built to the exact specifications of championship athletes around the world." Dazu der dicke Swoosh, das ist das Markenzeichen von Nike, und man erfährt auch, dass der Schuhkarton "Made in USA" ist. Schon etwas genauer muss man hinsehen, wenn man lesen will, dass die Schuhe "Made in China" sind. Die Schriftgröße mag Zufall sein. Dass die Produktionsbedingungen in den inzwischen berüchtigten Sweatshops verschwiegen werden, allerdings nicht. Auf dem Karton stünden sonst nämlich Vorwürfe wie "Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben". Die Medikamente des Pharmariesen Bayer ko
kommen ebenso unschuldig daher. Zu Risiken und Nebenwirkungen der Herstellung der Medikamente nämlich gibt kein Apotheker, geschweige denn ein Unternehmenssprecher gerne Auskunft. Auf der Packungsbeilage steht - selbstverständlich - auch nicht, was Bayer vorgeworfen und zum Teil nachgewiesen wird: "Import von Rohstoffen aus Kriegsgebieten, Finanzierung unethischer Medikamentenversuche, Vertrieb gefährlicher Pflanzenmittel" und einiges mehr.Was über die Produktionsbedingungen und die Konzernpolitik nicht in der Packungsbeilage steht, das kann man nachlesen bei Klaus Werner und Hans Weiss. Sie haben das Schwarzbuch Markenfirmen veröffentlicht, ein Kompendium, in dem die "Geschäftsberichte der etwas anderen Art" versammelt sind: Heftige Vorwürfe gegen die global players, säuberlich aufgelistet von A wie Adidas-Salomon AG bis W wie Wal-Mart Stores Inc. Die "Hitliste der Bösen" wird von Bayer, dem Öl-Konzern Total-FinaElf und McDonald´s angeführt. 50 Firmenportraits, fünf informative Berichte über ausgewählte Branchen und zwei spannende, aber nun ja, etwas läppische Undercover-Recherchen haben Werner und Weiss zusammen getragen, um die Machenschaften der großen Konzerne zu dokumentieren. Sie zielen aufs Image, auf die Reinheit der Marke - hier sind die global players noch verwundbar.Nun lässt sich gegen eine solche Sammlung einiges einwenden, denn was als Fakten, Fakten, Fakten für den aufgeklärten Konsumenten daher kommt, ist doch an manchen Stellen wackelig, hier und da nur halbherzig belegt. Der Fußnotenapparat verweist oft auf Publikationen, die bestenfalls hartgesottenen Globalisierungskritikern bekannt sind, und manch ein harscher Vorwurf wird No-Names in den Mund gelegt. Dennoch hat dieses Buch einen Platz im Küchenregal neben dem Block mit der Einkaufsliste verdient: Es ist wichtig, weil es die Vorwürfe, die hier und da kursieren, in sehr präziser und verständlicher Sprache auf Papier bannt und weiterführendes Material nennt. Das ist ein großes Verdienst. Anders als bei Naomi Kleins No Logo, dem das Schwarzbuch Markenfirmen äußerlich ähnelt, muss man sich nicht durch geschwätzigen Theoriesermon fräsen, um die Substanz zu erfahren. Auf Betroffenheit oder Hysterie im Tonfall verzichten die Autoren, die als Journalisten einen guten Namen haben, dankenswerterweise.Das Buch erschreckt den Leser schon durch die sachlichen Tatsachen, die bei allen Zweifeln doch ihren Wert haben: Der Deuticke-Verlag, eine eher kleine Adresse in Wien, wird nämlich nicht so selbstmörderisch sein, ein solches Buch ohne juristische Prüfung auf den Markt zu werfen. Hans Weiss, langjähriger Mitautor des Bestsellers Bittere Pillen, kennt aus seinen Streitschriften gegen die Pharmabranche die rechtlichen Ultra-Blocker, mit denen die Konzerne kritischen Autoren die Hölle heiß machen können - auch wenn letzten Endes alle Prozesse durch die Autoren gewonnen werden. Weiss wird sich mit juristischem Rat versichert haben, um herauszufinden, was man behaupten darf. Das ist der Subtext dieses Buches: Seht her! Das darf man alles schreiben! Das sind die Vorwürfe, das sind die Ausdrücke, die man aktuell und mit geringem Risiko gegen die Konzerne erheben darf! Das ist allerhand, das ist erschreckend.Bei all dem Entsetzen über so viel gesammeltes Material ("dieses Buch wird Sie wütend machen", heißt es im Vorwort) drängt sich die Frage auf: Was tun? Und wie Naomi Klein bleibt die Antwort der zwei Österreicher auf diese Gretchenfrage der Globalisierungsgegner blass.Boykott? Beim Ölmulti Shell hat der massive Tankstellen-Boykott, den Greenpeace ausrief, zumindest verhindert, dass die Plattform Brent Spar versenkt wurde. Doch die damalige Hau-Ruck-Aktion, die durch fragwürdige Informationen seitens Greenpeace im Nachhinein diskreditiert wurde, wird im Schwarzbuch Markenfirmen nur ausnahmsweise empfohlen, etwa gegen die Schlafanzüge von Triumph, einer Schweizer Firma, die in Myanmar (Burma) mit der Militärdiktatur Hand in Hand arbeitet. Boykotte seien verfehlt, wenn die Konkurrenz keinen Deut besser ist, und lediglich Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern vernichtet werden, Arbeitsplätze, die immer noch mehr wert sind als das nackte Elend - auch wenn der Stundenlohn nur ein paar Cent beträgt. Klar, fair gehandelte Bananen sind besser als Chiquitas-Früchte, und saubere Millionen sind bei sauberen Kreditinstituten besser aufgehoben als bei der Deutschen Bank. Allgemein aber empfehlen die Autoren Briefe an Vorstandsvorsitzende und Marketingabteilungen. Amnesty lässt grüßen? Dass solche Schreiben überhaupt zur Kenntnis genommen werden, geschweige denn, dass sich ein Unternehmen davon erweichen lässt - das mag man sich wünschen. Andererseits fehlt der Verweis auf die recht erfolgreichen Sweatshop-Kampagnen in den USA nicht: Dort haben es die Adidas- und Nike-Zielgruppen mit höchst medienwirksamen und professionellen Kampagnen geschafft, erste Verbesserungen zu erzwingen.Vielleicht muss der Adressat von Protestschreiben ein anderer sein, jemand, der dazu berufen ist, gegen Missstände vorzugehen: Die Bundesregierung, z. Hd. Renate Künast oder Heidemarie Wieczorek-Zeul. Warum sollten Unternehmen nicht verpflichtet werden, auf den Beipackzetteln die Eigentumsverhältnisse im Konzern sowie die Produktionsbedingungen darzulegen? Dann wäre wenigstens der frustrierenden Zugeknöpftheit und Herablassung der Firmensprecher ein Ende gesetzt. Wenn der "kritische Verbraucher", von dem auch Renate Künast träumt, sich an der Supermarktkasse bemerkbar machen soll, dann muss er mit Informationen versorgt werden. Transparenz ist ein Schlüsselwort der rechtsstaatlichen Demokratie. Vielleicht ist ein entsprechendes Gesetz der letzte Dienst, den die demokratisch gewählten Organe dem Volk noch erweisen können, bevor sie vor den Multis kapitulieren. Der Konsument als neuer Souverän - das könnte fast eine Hoffnung sein.Klaus Werner / Hans Weiss: Schwarzbuch Markenfirmen - Die Machenschaften der Weltkonzerne. Deuticke Verlag, Wien / Frankfurt am Main 2001, 349 S., 21, 15 EUR
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.